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052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

Titel: 052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
Autoren: Larry Brent
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hellwach.
    Mit dem Strahl seiner Taschenlampe leuchtete er in die finstere Nische. Er
entdeckte die zur Seite geschobene Rückwand. Das, was sich als Schrank präsentierte
– war in Wirklichkeit ein Geheimgang, der zu einer unbekannten Außentür führte.
    Deshalb der Luftzug. Es dauerte genau drei Minuten, bis er die Tür, die
sich fugenlos in das Mauerwerk einpasste und selbst ein Stück dieser Mauer war,
entdeckt hatte.
    Er konnte hinausgehen in den Garten, wenn er die dichtstehenden Büsche, die
bis an die Hauswand heranreichten, zur Seite drückte.
    Ein Eingang, der nicht versiegelt war, und den die Polizei übersehen hatte.
    Kunaritschew leuchtete den Boden ab, und er war aller Zweifel ledig: vor
kurzem war hier jemand gegangen! Der Boden war aufgewühlt – und hinter ihm
zentimeterdick mit Staub bedeckt, er zeigte deutliche Fußabdrücke. Es bereitete
keine Schwierigkeit, den Abdrücken zu folgen, die in einen Stollen neben einem massigen
Kamin mündeten. Hier erlebte Kunaritschew die zweite Überraschung: eine schmale
Wendeltreppe stieg steil in die Höhe. Sie schmiegte sich förmlich an die Wand
an, und sie war gerade so breit, dass ein Mensch Mühe hatte, in die Höhe zu
kommen.
    Die Treppe war zwischen zwei Mauern erbaut worden. Ein Fluchttunnel?
    Der Russe bewegte sich leise und führte den Lichtstrahl vor sich her.
Deutlich auch hier die Fußspuren. Sie waren ganz frisch. War ihm jemand
zuvorgekommen? Suchte jemand das gleiche wie er? Kam er zu spät?
    In den Wirbel der Gedanken, die ihn plötzlich erfüllten, mischte sich das
Geräusch, das das einsame und stille Haus mit einem Mal zu schaurigem Leben
erweckte.
    Ein Schrei, so schrill, so markerschütternd, hallte durch die Finsternis,
dass sich X-RAY-7 die Haare sträubten.
    Und der Schrei war unmittelbar vor ihm und hallte nach wie ein wildes,
lautes Echo ...
    Plötzlich sah der Agent den Schatten, der vor ihm aufwuchs und mit
gierigen, ausgestreckten Händen nach ihm griff.
    Es war eine Frau. Es war Blanche. Die Szene, die sich vor den Augen des
PSA-Agenten im Strahl der Taschenlampe abspielte, sollte Iwan Kunaritschew sein
ganzes Leben lang nicht mehr vergessen.
    Die Alte taumelte die enge Treppe herunter und rutschte an der rauen Wand
entlang. Ihr Kleid, viel zu jugendlich für sie geschnitten, war an den
Schultern und am Rücken von rauen Steinen aufgerissen.
    Blanches große, mit blauem Lidschatten unterlegte Augen, waren vor
Entsetzen geweitet. Sie hatte den Mund geöffnet, und es schien, als wolle sie
einen weiteren Schrei ausstoßen, doch nur ein dumpfes Gurgeln kam aus der Tiefe
ihrer Kehle.
    Sie griff mit zitternden Händen an ihren faltigen Hals. Deutlich war im
hellen Schein der Taschenlampe das viel zu dick aufgetragene Make-up zu
erkennen, die grell geschminkten Lippen, die diesem hässlichen, zur Fratze
verzerrten Gesicht das Aussehen einer Maske gaben.
    »Helfen Sie mir, bitte ...«, kam es wie ein Hauch über ihre Lippen. Sie
starrte den Russen an und schien durch ihn hindurchzusehen. Ihre Augen glühten
wie unter einem inneren Feuer, das sie immer stärker zu verzehren drohte.
    »Zu spät ...«, murmelte sie dann. »Er hätte mir das Präparat früher
injizieren sollen ... niemand hat es voraussehen können ... Sarde ... dieser
Trottel ... er hat es falsch gemacht. Das Alter ... warum das Alter?«
    Sie redete wie im Fieberwahn. Ihr Gesicht war feuerrot. Sie litt unter
Atemnot, und Kunaritschew sah, wie das Kleid, das noch eben straff ihren Körper
umhüllte, um ihre Figur schlotterte, als würde ihr Leib unter dem Stoff
anfangen zu schrumpfen.
    Die Fülle verschwand, die Hüften verloren ihre Rundung, die bisher zu dem
alten, runzligen Gesicht in einem seltsamen Kontrast gestanden hatten.
    Blanche stand gegen die Wand gelehnt. Sie schien vergessen zu haben, dass
ein Fremder in ihrer Nähe war, der mit gemischten Gefühlen ihre Umwandlung
beobachtete; sie schien vergessen zu haben, wo sie sich befand und weshalb sie
über den geheimen Eingang in dieses Haus gekommen war. Ihr Bewusstsein war
umnebelt, alles vor ihren Augen nahm ein unwirkliches, geisterhaftes Aussehen
an. Die Welt um sie herum verlor Form und Farbe.
    Instinktiv fühlte die Alte, dass ihre Stunde geschlagen hatte. Von diesem
Anfall konnte sie sich nicht mehr erholen. Dieser Anfall machte ihre ganzen
Pläne und Absichten zunichte.
    Ein Stöhnen und Krächzen kam aus ihrem Mund.
    Ihr Gesicht veränderte sich, und Iwan Kunaritschew sah in diesen Minuten
etwas, was er nie
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