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052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

Titel: 052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
Autoren: Larry Brent
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Jahre
alt. Aber ich führe ein Doppelleben – genaugenommen seit vier Wochen. Es gab
eine Möglichkeit, das Alter, das mich kennzeichnete, zu vertreiben. Die Uhr lief
rückwärts. Ich wurde jung und schön und attraktiv und verführerisch, nicht
wahr? Ich war wie damals. Mein Erfolg bei Ihnen gab mir recht. Meine Absicht,
dich kennenzulernen, geschah nicht von ungefähr. Ich überlistete Françoise. Sie
glaubte, mich in dein Haus einzuschleusen – in Wirklichkeit war ich es, die das
provozierte. Du hast doch ein Bestattungsunternehmen, nicht wahr?«
    Er nickte. Er begriff sowieso nichts mehr richtig. Alles geschah
mechanisch, unbewusst.
    Er wusste nicht, ob er träumte oder wachte.
    Mit sturem Blick sah er den Lauf der Waffe und verschwommen nur nahm er die
Umrisse des weiblichen Körpers wahr.
    »Du hättest mir helfen können, Jean«, fuhr sie fort. Sie kam zwei Schritte
näher, und ihr Körper schälte sich aus dem zitternden Nebel, der vor seinen
Augen lag. Er glaubte, dass sie sich ständig veränderte, dass sie während der
letzten Minuten weiter gealtert war. Das, was durch ihm unbekannte
Manipulationen rückgängig gemacht worden war, lief nun in entgegengesetzter
Richtung wieder ab – und zwar im Zeitraffertempo.
    Ihre Haut wurde gelblich, der Glanz in ihren Augen ließ mehr und mehr nach.
Alle Jugendlichkeit schwand dahin wie ein Rest Schnee unter den ersten Strahlen
der warmen Frühlingssonne.
    »Helfen?«, fragte er rau. »Wie?«
    »Ganz einfach. Tag für Tag sorgst du dafür, dass Verstorbene unter der Erde
verschwinden. Diese Toten – junge Frauen und Mädchen – könnten mir noch von
Nutzen sein.«
    Er schluckte. Er hatte plötzlich einen trockenen Mund. Jean Ecole musste,
als er sie jetzt so hilflos und ein wenig gebeugt vor sich stehen sah, an eine
ungewöhnliche Vampirgeschichte denken, die er kürzlich gelesen hatte. Eine
Frau, ein Vampir, hatte das Blut der Menschen ausgesaugt, um sich dadurch
Jugendlichkeit und Schönheit zu erhalten. Aber so etwas gab es nicht im
wirklichen Leben, das waren Geschichten einer schwarzen Literatur.
    »Du – willst die Leichen haben?«, fragte er heiser. Seine Stimme hatte kaum
Klang.
    »Nicht die Leichen. Die Köpfe genügen mir schon. Doktor ...« Sie wollte
einen Namen nennen, aber sie unterließ es. »Dein Partner«, fuhr sie statt
dessen fort, »machte damit gute Geschäfte!«
    Heiße und kalte Schauer liefen über seinen Rücken, als sie ihm diese
Eröffnung machte. Sein Geschäftspartner Maurice Gudeau hatte gegen das Gesetz
verstoßen. Deshalb also das viele Geld, dessen Herkunft Ecole sich niemals
hatte erklären können!
    »In diesem Fall würde ich diesen Mann unterstützen. Ich würde eigene
Initiative ergreifen.« Sie kam noch einen Schritt näher. Schmerz und Trauer
sprachen aus ihren Augen, die so viel in ihrem Leben gesehen hatten. Es waren
welterfahrene, kluge Augen. »Ich bedaure es aus tiefstem Herzen, dass wir uns
unter diesen Umständen wiedersehen müssen. Du kannst mich wieder so haben, wie
du mich vergangene Nacht erlebt hast«, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort.
»Weißt du nichts mehr von meinen heißen Küssen, kannst du dich nicht mehr an
meinen Körper erinnern, der dir gehört hat?«
    Er schloss die Augen. Er erschauerte in Gedanken daran.
    »Niemals«, flüsterte er, »niemals gebe ich mich dazu her. Du wirst mich
nicht dazu bringen, gegen das Gesetz zu verstoßen. Leichenraub – Mord ...«, stieß er hervor.
    Er dachte an die Zeitungsmeldungen, die während der vergangenen Wochen so
große Schlagzeilen in Paris machten. Er konnte sich nun einen Vers darauf
schmieden.
    »Dann muss ich dich töten «,
krächzte sie. Sie ging jetzt gebeugt. Die Hand, die die Waffe hielt, zitterte.
In ihren Augen blitzte es bedrohlich auf. Diese enttäuschte Frau, die sich um
ihr höchstes Gut betrogen sah, war zu allem fähig!
    Jean Ecole wich zurück, Schritt für Schritt ...
    Die bleiche Haut Mireilles wurde welker. In Minuten alterte sie jetzt um
weitere zwanzig Jahre. Der Turban rutschte von ihrem Kopf, und Ecole sah das
schüttere, graue Haar, in dem sich die farbigen Lockenwickler wie ein Paradoxon
ausmachten.
    »Man wird den Schuss im ganzen Haus hören«, bemerkte Ecole. »Mein Tod wird
dir nichts nützen.«
    »Du hättest mir im Leben helfen können«, sagte sie statt dessen, ohne auf
seine Bemerkung einzugehen.
    »Ich wurde von Ihnen bedroht, ich wurde erpresst ... mir fällt schon etwas
ein, und man wird einer alten, hilflosen Frau
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