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0497 - Die Fledermenschen

0497 - Die Fledermenschen

Titel: 0497 - Die Fledermenschen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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unglaublich tief mußte ihre Liebe zu ihm sein!
    »Schenken Sie ein, William«, bat der Lord geistesabwesend.
    Butler William hatte das Kaminzimmer betreten, ein Tablett balancierend, auf dem ein Glas und eine Flasche mit handgemaltem Etikett standen. Er setzte das Tablett auf dem kleinen handgeschnitzten Rundtisch ab, öffnete die bereits angebrochene Flasche und hielt sie über das Glas. Dann wunderte er sich, weil der Whisky noch nie so zäh geflossen war wie jetzt. Auch der Geruch stimmte nicht.
    William zögerte.
    »Was ist los?« fragte Sir Bryont.
    »Der Whisky, Sir«, hub der Butler an.
    Saris, aus seinen Träumen gerissen, beugte sich vor, griff nach dem Glas, führte es an die Lippen - und stutzte ebenfalls. Er schnupperte, dann knallte er das Glas wieder aufs Tablett. »William, wenn Sie mich vergackeiern wollen…?«
    »Mitnichten käme mir jemals ein so unangebrachter Geistesblitz, Sir«, versicherte William steif. »Wenn Sie mir die Anmerkung gestatten, Mylord: es riecht ein wenig nach Honig, und seine Fließeigenschaften gleichen ebenfalls jenem Bienensekret…«
    »Es ist Honig!« knurrte Sir Bryont. »Wie, zum Henker, kommt dieses klebrige Zeug in meine Whiskyflasche?«
    »Ich werde unverzüglich diesbezügliche Nachforschungen anstellen, Sir«, beeilte sich William zu versichern.
    Saris beugte sich wieder vor. »Aber vorher bringen Sie mir einen Whisky! Wenn ich den erwische, der mir diesen Streich spielen wollte… hoffentlich hat er den Whisky wenigstens selbst getrunken und ihn nicht achtlos in den Ausguß gekippt!« Die schottische Seele sprach aus ihm, die er nicht verleugnen konnte - er verabscheute jede Art von Verschwendung. »Am besten schauen Sie doch mal nach, ob der Dicke trunken schnarcht!« Don Cristofero traute er diese kleine Gemeinheit zu; der würde es vermutlich sogar witzig finden, Honig in eine Whiskyflasche gefüllt zu haben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er nach dem Genuß einiger großer Gläschen etwas angestellt hätte.
    Lady Patricia war ein solcher Scherz nicht zuzutrauen; wenn sie Bryont einen Streich spielte - sie neckten sich gern gegenseitig - , dann tat sie das auf wesentlich intelligentere und humorvollere Weise, nicht mit Slapstick-Effekten.
    William verschwand; das Tablett mit Flasche und Glas ließ er stehen. Saris seufzte. Der Honig roch intensiv, aber gerade dieser süßliche Duft wollte dem Lord im Augenblick nicht Zusagen. Er verkorkte die Flasche wieder. Dann ging er zum einzigen kleinen Fenster des Zimmers, öffnete es und stellte das halb gefüllte Glas draußen auf die Fensterbank. Mochten Bienen und Hummeln das klebrigsüße Zeug zurückholen, das ein wohlmeinender Imker ihnen gestohlen hatte.
    William kam zurück, eine neue Flasche in der Hand. Das Etikett war anders, stammte also von einem anderen Schwarzbrenner. Der Korken war noch nicht entfernt worden; das Wachssiegel unversehrt. Saris öffnete die Flasche selbst und glaubte seiner Nase und seinen Augen nicht zu trauen.
    »Honig!«
    In einer vom Brenner versiegelten, »jungfräulichen« Flasche!
    »Das ist kein Scherz mehr, William!« knurrte der Lord, der sich nicht vorstellen konnte, daß ihm einer seiner Haus- und Hoflieferanten diesen Streich gespielt haben sollte.
    Saris hieb den Korken wieder in den Flaschenhals und stürmte aus dem Lesezimmer. William bemühte sich, seinem Herrn zu folgen. Saris stürmte in den kleinen Salon, in dem er hin und wieder Besucher empfing. Da stand eine Flasche legalen Whiskys, vorwiegend zu Repräsentationszwecken, wenn Parteifreunde aus dem Parlament zu Besuch kamen, um ihn, den Schotten, auf englische Problemlösungen einzuschwören und dann gemeinsam im Oberhaus zur Abstimmung zu schreiten. Die mußten ja nicht wissen, wie sehr Lord Saris mit der einheimischen Bevölkerung fraternisierte und sogar Großabnehmer der Schwarzdestillen war.
    Die »legale« Flasche war auch noch nie angebrochen worden. Der Schraubverschluß saß noch wie original verkappt. Die winzigen Stege waren heil. Voller böser Vorahnungen drehte Saris am Schraubverschluß und hörte es knacken, als die Stege brachen. Dann war die Flasche offen -und roch nach Honig.
    Saris ließ sie fallen.
    Honig wollte aus dem Flaschenhals auf den hochflorigen Teppich rinnen. Geistesgegenwärtig schnappte William die Flasche wieder vom Boden auf, verschloß sie und stellte sie in den Barschrank zurück.
    Saris fischte sie wieder heraus.
    »Sir?« wunderte sich William. »Meinen Sie nicht, daß
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