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049 - Der Android

049 - Der Android

Titel: 049 - Der Android
Autoren: Claudia Kern
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verstöre sie; sind sie bescheiden, mache sie überheblich; sind sie vereint, trenne sie. Greife an, wenn sie unvorbereitet sind, gehe dorthin, wo sie dich nicht erwarten…«
    Er brach ab und schloss die Augen. Sun Tzus Die Kunst der Kriegsführung, geschrieben vor mehr als 2500 Jahren, war das einzige Buch, das er je auswendig gelernt hatte. In schweren Zeiten zitierte er daraus, so wie ein Mönch in tiefer Meditation betete. Die Weisheiten des chinesischen Generals beruhigten ihn und rückten seine eigenen Probleme stets in die richtige Perspektive. Selbst jetzt, da er in einem finsteren Abgrund zu stehen glaubte, drangen sie zu ihm durch und gaben ihm Ruhe.
    Sie wird bald aufwachen, dachte er. Für sie muss ich bereit sein, nicht als Vater, sondern als Kommandant.
    Fast drei Monate waren vergangen, seit er neben seiner Tochter im Dreck gekniet hatte, ihren blutenden, zerstörten Körper in den Armen haltend. Damals hatte er nicht geglaubt, dass sie überleben würde.
    Seine Gedanken glitten zurück zu jenem Tag in Cape Canaveral, als Mr. Black und seine verdammten Running Men versucht hatten, der WCA die Kontrolle über das dort gefundene, intakte Space Shuttle zu entreißen. Sie hatten den Wissenschaftler David MacKenzie und seine Tochter Lynne als Geiseln genommen, aber die Übergabe scheiterte, als Lynne unerwartet Wider- stand leistete. Bei der Flucht der Rebellen war der verfolgende Stoßtrupp auf ein riesenhaftes Krokodil gestoßen, das drei der Soldaten getötet und seiner Tochter den rechten Arm abgebissen und ein Stück aus der Hüfte gerissen hatte. Nur die Versiegelung der Wunden mit einem Lasergewehr und eine rasche Bluttransfusion hatte ihren Tod verhin- dert. Doch Crow wusste nicht, ob Lynne ihm danken würde, wenn sie aus dem künstlichen Koma erwachte.
    Er dachte an den Weg, der hinter ihm lag, an die beschwerliche Reise, die ihn über Umwege und falsche Spuren schließlich an diesen Ort geführt hatte. Nur zwei Soldaten, einige Ärzte und der Stasisbehälter, in dem seine Tochter lag, hatten ihn auf der Fahrt mit dem EWAT begleitet. Er zog es vor, unauffällig zu bleiben.
    Laub raschelte neben ihm. Er öffnete die Augen.
    »Sir?« Lieutenant Garretts Stimme klang nervös, wie immer, wenn er Crow gegenübertrat.
    »Ist es so weit, Lieutenant?«
    Garrett nickte. Er war noch jung, vielleicht zweiundzwanzig, aber die eingefallenen Lippen über seinem zahnlosen Mund ließen ihn wie einen alten Mann wirken. Crow wusste aus den Berichten des Lieutenants, dass zwei Auseinandersetzungen mit Matthew Drax für diesen Zustand verantwortlich waren, doch erst während der langen Reise hatte er genügend Interesse aufgebracht, um Garrett zu fragen, weshalb er sich kein Gebiss anpassen ließ. Seine Antwort hatte Crow überrascht.
    Weil so mein Hass lebendig bleibt, hatte Garrett gesagt.
    Jetzt stand er mit strammer, dem Dienstprotokoll entsprechender Hal- tung neben seinem Vorgesetzten und wartete die nächsten Befehle ab.
    Er ist ein Killer, dachte Crow, während er aufstand und sich den Staub von der Uniform klopfte. Ich werde ihm niemals ein eigenes Kommando geben, aber vielleicht sollte ich ihn zu meinem Adjutanten machen.
    Das war der zweite Grund seiner Reise. Auf Cape Canaveral war sein bisheriger Adjutant Finnegan ums Leben gekommen. Crow bedauerte seinen Tod, beschäftigte sich jedoch gleichzeitig mit der Frage, wer seine Nachfolge antreten solle. Zwei Namen waren ihm spontan eingefallen: Lieutenant »Jazz« Garrett, der karrieregeile Killer, und Fähnrich Joshua Harris, ein allgemein als vergesslich und undiszipliniert gelten- der Soldat, der jedoch über einen hohen IQ verfügte und es beim letzten Schachturnier als Einziger gewagt hatte, seinen General zu besiegen.
    Crow schätzte Mut.
    Beide Männer begleiteten ihn nun, und wie er vermutet hatte, konnten sie einander nicht ausstehen. Die Tatsache, dass sie für die gleiche hochangesehene Position vorgesehen waren, steigerte ihre Aggressivität, obwohl beide versuchten, dies vor Crow zu verbergen.
    Wäre es nicht um das Leben seiner Tochter gegangen, hätte ihm die Reise große Freude bereitet.
    Mit langen festen Schritten ging er über die Steinplatten dem Institut entgegen. Er wusste, was ihm bevorstand, und hatte sich fest vorgenommen, die Würde zu wahren, die sein Rang von ihm verlangte. Auf Cape Canaveral war er beinahe vor seinen Leuten zusammengebrochen; eine Schmach, die er nicht wiederholen wollte.
    Garretts Hand schloss sich plötzlich um
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