Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0475 - Der Drache der Zeit

0475 - Der Drache der Zeit

Titel: 0475 - Der Drache der Zeit
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
hatte. Genauer gesagt: Die Wirklichkeit hatte sich geteilt. Zwei Hälften waren entstanden: die eine mit einer höheren Existenzwahrscheinlichkeit in der die Saurier ausstarben und sich die Warmblütler bis hin zum Menschen entwickelten, und die andere mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit in der warmblütige Säuger kaum mehr als jene Rolle spielten, die auf der »wirklichen« Erde die Reptilien innehatten und in der aus den Saurieren menschenähnliche Intelligenzwesen hervorgegangen waren, die eben reptilartig waren. Während aber die Wahrscheinlichkeit der »wirklichen« Erde, in Zahlen gefaßt gegen 100% strebte, verlor die Echsenwelt immer mehr an Wahrscheinlichkeit und strebte dem Wert 0% entgegen. Entsprechend war der Zerfall; der Entropiewert stieg unaufhörlich an, die Echsenwelt löste sich einfach in Nichts auf. Der Tag war abzusehen, an welchem sie endgültig aufhören würde zu existieren, da ihr Wahrscheinlichkeitswert Null erreicht hatte.
    In mindestens jeder Sekunde steht jeder einzelne Mensch vor der Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: tue ich etwas Bestimmtes, oder tue ich es nicht. Die Möglichkeit für die er sich entscheidet, bestimmt die nächste Ja/Nein-Entscheidung und alle folgenden, somit wird also die an sich unbestimmte Zukunft in eine bestimmte Entwicklungsrichtung gelenkt. Solange noch keine Entscheidung gefallen ist, haben beide Möglichkeiten noch den gleichen Wahrscheinlichkeitswert. Und weil jedes einzelne Wesen vor diesen Entscheidungen steht, ergeben sich unzählige Trillionen möglicher Zukünfte. Die meisten von ihnen beeinflussen sich gegenseitig, bestimmte Trends sind abzusehen und haben schon in der Phase vor der Verwirklichung höhere Wahrscheinlichkeitswerte. Als die Echsenwelt entstand, hatten die Ewigen bei einer dieser Ja/Nein-Entscheidungen beiden Möglichkeiten die gleiche Wahrscheinlichkeit aufgezwungen. Daraus waren die beiden nebeneinander existierenden Welten entstanden. Astronomisch gesehen war der Mittelpunktabstand beider Welten nullkommanull. Sie existierten zugleich an exakt der gleichen Stelle im Raum - nur durch ihren Entropiewert voneinander getrennt.
    War hier und jetzt etwas Ähnliches geschehen?
    Hatte auch hier jemand einer Ja/Nein-Entscheidung beide Chancen gegeben?
    Zwei Welten, zwei Wahrscheinlichkeiten, mußten sich für kurze Zeit überlagert haben. Die eine, in der die Villa zerstört und Ted soeben ermordet worden war, und die andere, in welcher nichts dergleichen geschah. Und Ted wurde das Gefühl nicht los, daß diese beiden Wahrscheinlichkeiten nach wie vor um ihre Existenz rangen. Die Erinnerung an Zerstörung und Tod versuchte immer deutlicher zu werden und die andere in den Hintergrund zu drängen.
    Bedeutete das, daß eigentlich die Zerstörung echt war? Daß in der Realität Ted Ewigk tot war?
    An diesem recht fatalen Zustand war er allerdings herzlich wenig interessiert. Er wollte leben. Er hatte mit seinen 38 Jahren noch eine Menge Lebensjahre vor sich. Er war immer ein Abenteurer gewesen, der die Gefahr suchte, der die riskantesten Jobs annahm und durch seine Berichterstattung von den heikelsten Schauplätzen zum mehrfachen Millionär wurde, noch ehe er 25 war, und wenn ihm Gevatter Tod den Lebensfaden durchtrennte, war das sein Berufsrisiko - aber er wollte trotzdem nicht vor der Zeit sterben, und erst recht nicht durch einen Entropie-Schlag wie diesen. Zu oft hatte er in der letzten Zeit an der Schwelle des Todes gestanden; er fürchtete den Tod nicht, aber er haßte ihn. Und durch eine Art »Würfelspiel« umzukommen, das behagte ihm überhaupt nicht.
    Was konnte er tun, um seinem Weiterleben zu steigender Wahrscheinlichkeit zu verhelfen?
    Ratlos stand er neben dem Wagen und starrte die Villa an, die sich ihm jetzt unversehrt darbot. Aber flimmerte da nicht irgendwas im Bild? Gab es nicht leichte Verschiebungen, Doppelbeschichtungen gewissermaßen, die ihm die Trümmer wieder zeigen wollten?
    Der Reporter, der es längst nicht mehr nötig hatte, in seinem Beruf tätig zu werden und der nur noch aus Spaß am Job hin und wieder Reportagen machte, schüttelte sich. »Ich muß Zamorra fragen«, murmelte er.
    Und er war heilfroh, daß seine Freundin Carlotta derzeit nicht in der Villa weilte. Vielleicht wäre sie sonst in diesen Teufelskreis der Auflösung mit einbezogen worden. So aber hatte sie sicher bessere Chancen als Ted.
    Er stieg wieder ein, fuhr den Wagen in die offenstehende Garage und ging ins Haus, um zu telefonieren. Wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher