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0473 - Botin des Unheils

0473 - Botin des Unheils

Titel: 0473 - Botin des Unheils
Autoren: Werner Kurt Giesa
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gebaut hatte und nicht mit der Kraft seiner Träume Gestalt werden ließ, aber meistens setzte er sich draußen der kalten Umwelt aus, die ihm nicht schaden konnte.
    Angelique überwand sich und ging nun doch hinaus. Ihr war klar, daß er es nicht brauchte, aber dennoch nahm sie eine große Tasse mit heißem, gebutterten Tee mit, wie ihn die Tibeter tranken, wenn sie sich aufwärmen wollten. Sie stapfte durch den Schnee bis auf die freie Fläche, die er sich erschmolzen hatte, und sah verblüfft, daß in dieser Fläche Blumen gewachsen waren, deren Blütenkelche sich gerade öffneten, als Angelique eintraf.
    Er hob den Kopf, und aus geschlossenen Augen sah er sie an.
    »Gefallen sie dir, Angelique?« fragte er leise.
    Sie hockte sich neben ihm nieder, den Kragen hochgeschlagen gegen den kalten Wind. »Ja«, erwiderte sie. »Wie hast du das gemacht? In dieser Höhe wachsen doch gar keine Blumen!«
    »Es kommt auf die klimatischen Bedingungen an«, erwiderte er lächelnd. »Dichtere Luft, Wärme…«
    Er griff mit immer noch geschlossenen Augen nach der Tasse, bekam sie zielsicher zwischen die Finger und nippte an dem heißen Getränk. »Danke«, flüsterte er ihr zu, »aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet, ob dir diese Blumen gefallen.«
    »Es gefällt mir nicht, daß sie hier verurteilt sind, den Kältetod zu sterben, sobald du sie sich selbst überläßt.«
    »Daran habe ich nicht gedacht«, gestand er bedrückt. »Denn ich war mit meinen Gedanken bei einem wichtigeren Problem.«
    »Was für ein Problem?« fragte sie und wunderte sich, wie er es fertigbrachte, sich mit ihr zu unterhalten und zugleich seinen Meditationszustand aufrecht zu erhalten, der ihm keine Wärme gab, in der Schnee schmolz und Blumen blühten. Sie selbst fühlte die Wärme in seiner Nähe auch, aber sie dachte nicht daran, ihre Jacke zu öffnen, weil für sie Illusion sein konnte, was für Julian Wirklichkeit war. Sie sah, daß vor ihm ein Metallstab auf dem Boden lag. Er war über einen Meter lang und etwa drei Zentimeter breit bei einer Stärke von einem Zentimeter; der Querschnitt war ein abgeflachtes Oval.
    Julian gab ihr die Tasse zurück und hob - immer noch mit geschlossenen Augen - den Metallstab auf. Er hielt ihn in der rechten Hand, streckte zwei Finger der linken aus und strich mit ihnen in Längsrichtung über den Stab, einmal, zweimal, dreimal. Täuschte Angelique sich, oder war der Stab durch diese Bewegungen flacher und breiter geworden?
    »Was tust du da?« fragte sie.
    »Ich denke an Merlin«, sägte Julian.
    »Merlin? Diesen sagenhaften Zauberer, der seinerzeit für König Artus gearbeitet haben soll?«
    »Er arbeitete nie für Artus und auch nie für einen anderen. Nur für den Wächter der Schicksalswaage. Aber jetzt begeht Merlin einen Fehler.«
    Angelique schüttelte den Kopf. »Merlin ist eine Legende, Julian.«
    »Merlin ist mehr als das, und er macht einen Fehler. Er überschätzt sich. Er will seine Kräfte an etwas versuchen, das zu groß für ihn ist. Er wird das Raum-Zeit-Gefüge erschüttern und eine Katastrophe heraufbeschwören.«
    »Was redest du da?« stieß Angelique hervor, die zwar wußte, daß Julian ein Träumer war, aber für einen Phantasten hatte sie ihn nie gehalten.
    »Warum warnt ihn niemand? Warum sehen die anderen nicht die Gefahr, die Merlin heraufbeschwörte? Er darf es nicht tun… man muß ihn warnen! Man muß ihn hindern!«
    Angelique nagte an ihrer Unterlippe.
    Abermals strich Julian wie gedankenverloren mit zwei Fingern über den Metallstab. Der schien abermals flacher und breiter geworden zu sein.
    »Julian…«
    Da öffnete er plötzlich die Augen und sah sie an. »Es ist ziemlich kalt hier«, gestand er.
    Mit einer geschmeidigen Bewegung richtete er sich auf, hatte volle Kontrolle über seine Gliedmaßen. Gerade so, als hätte er nicht bis jetzt stundenlang im Schneidersitz und völlig bewegungslos in der erbarmungslosen Kälte verharrt. Im Aufstehen hob er auch den Metallstab wieder auf, der ihm im Moment des Augenöffnens aus den Fingern geglitten war.
    Er hob die freie Hand, berührte streichelnd Angeliques Wange und faßte dann ihre Hand, in der sie die Tasse hielt um sie noch einmal an seine Lippen zu führen und zu trinken. »Danke«, sagte er. Dann betrachtete er die Blumen, die ihre Farbkraft bereits verloren, weil Julians innere Kraft nicht mehr wirkte. »Schade, doch ich kann sie so nicht retten, wenn ich meinem Grundgesetz nicht wieder untreu werden und träumen
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