047 - Die letzten Tage von Riverside
ein.
Fast täglich in den letzten Wochen fanden sich diese jungen Leute auf Petes Grundstück und in seinem Haus ein. Aus irgendeinem Grund beunruhigte das Simon. Manchmal kamen sie ihm wie Ratten vor, die ein herrenloses Haus besetzten. Ein menschenverachtender Vergleich. Simon schämte sich dafür.
Das Telefon klingelte. »Ich geh schon!« Simon lief ins Esszimmer, wo die Telefonkonsole stand. Aus der Küche klang Marc Shindlers Stimme, der Wetterbericht. Mit ein bisschen Glück könne man an Weihnachten zu einer Grillparty im Garten einladen, behauptete er.
Liz war am Apparat. »Ich bin so weit.«
»Okay, wir holen dich ab.«
Zehn Minuten später fuhren sie in das alte Wohngebiet im Ostteil von Riverside, wo Matts Haus stand. Eves Vater hatte es seinem Enkel vererbt. Liz stand in der Einfahrt, neben ihr ein Koffer und eine Reisetasche. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind. Simon stoppte und stieg aus. Stumm umarmte er seine ehemalige Schwiegertochter und verstaute ihre Sachen im Kofferraum des Toyota. Die ganze Nachbarschaft hatte Pete im Lauf der Jahre für die japanische Automarke begeistert. Nur Colin hatte seinem Verkaufsgenie und der Rabatt-Versuchung widerstanden.
Liz warf einen letzten Blick auf das Haus.
Ein letzter Blick auf ihr Leben, musste Simon denken. Als sie in den Toyota stieg, glänzten Tränen in ihren braunen Augen.
Sie redeten nur das Nötigste. Im Autoradio interviewte Shindler einen Experten zum Thema »Was kommt nach ›Christopher-Floyd‹?« Simon hatte nie geahnt, wie viele Experten es gibt. Auf jedem Sender, zu jeder Tages- und Nachtzeit äußerte sich einer von ihnen - oder gleich mehrere - zum drohenden Weltuntergang. Marc Shindlers Experte glaubte, dass nach »Christopher-Floyd« verheerende Erdbeben und eine Flutwelle kommen würden. Über weite Teile Kaliforniens jedenfalls.
Simon schaltete das Radio aus. Die Vorstellung, sein Leben mit allen Spuren würde von der Katastrophe ausgelöscht werden, machte ihn wütend.
Er fuhr nach Norden am Municipal Airport vorbei. Der hatte seinen Betrieb längst eingestellt, wie die meisten kleineren Flughäfen im Großraum Los Angeles. Der International Airport an der Küste war schon seit Wochen gesperrt für den privaten Flugverkehr. Dort landeten stündlich Tausende von Evakuierten aus Europa. Nur auf dem Van Nuys Airport im Nordwesten der Stadt konnte man noch bis zum Jahresende einen privaten Inlandsflug bekommen. Von dort aus wollte auch Liz nach New York City fliegen.
»Glaubst du, sie haben eine Chance bei der Luftwaffe?«, fragte Eve unvermittelt.
»Wie meinst du das?« Die Frage verwirrte Simon.
»Können sie sich mit ihren Maschinen retten? Oder gibt es Bunker in Berlin?«
Simon verstand: Sie dachte an Matt.
»Natürlich haben sie Bunker in Berlin.« Simon wusste es nicht wirklich.
»Ich glaube, er schafft es«, flüsterte Eve.
»Ich spüre es: Matt schafft es.« Simon antwortete nicht. Auch Liz hinten auf der Rückbank blieb still. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach.
Riverside blieb zurück. Die Straße führte durch ein Waldgebiet. Noch drei Meilen bis zur Auffahrt auf den Corona Freeway. Ein Wohnmobil stand am Straßenrand. Die Warnblinkanlage blinkte, ein Mann winkte.
»Halt an, Darling, da ist etwas passiert«, sagte Eve.
Simon trat auf die Bremse. Er stoppte hinter dem Wohnmobil und stieg aus. Jetzt erst sah er die drei Motorräder am Straßenrand stehen.
»Brauchen Sie Hilfe, Sir?«
Der Mann, höchstens dreißig Jahre alt, wankte ihm entgegen. »Meine Frau…« Blut strömte ihm aus einer Platzwunde an der Schläfe.
»Sie haben sie mitgenommen…« Er brach zusammen. »Sie haben mich aus dem Wagen gezerrt und niedergeschlagen. Als ich zu mir kam, war Laura verschwunden…« Seine Stimme brach, er weinte. »Sie haben mein Handy gestohlen! Bitte rufen Sie die Polizei…«
Liz ging neben dem Mann in die Hocke. Sie hatte den Verbandskasten aus dem Kofferraum geholt. Eve tauchte neben Simon auf.
»Nimm ihn ins Auto und lass uns von innen verriegeln, bis die Cops kommen.« Simon drückte ihr sein Handy in die Hand und lief zu den Motorrädern. Die Zylinder strahlten noch Hitze aus. Am Waldrand hing ein weißer Seidenschal im hohen Gras. Simon rannte los.
»Um Gottes willen, Simon! Bleib hier…!«
Nur Minuten konnten seit dem Überfall verstrichen sein. Simon glaubte nicht, dass sie sich allzu weit in den Wald zurückgezogen hatten. Er lief durch das Unterholz, blieb stehen, lauschte, rannte weiter, blieb
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