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047 - Die letzten Tage von Riverside

047 - Die letzten Tage von Riverside

Titel: 047 - Die letzten Tage von Riverside
Autoren: Jo Zybell
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in den Nacken legen, um zu den Wipfeln der über hundert Meter hohen Douglasien aufblicken zu können. Dazwischen, teilweise noch höher, sah er die weit ausladenden Kronen von Roteichen. Ihr Blattwerk leuchtete rötlich in der Dämmerung. Und zwischen den Eichen und dem unsymmetrisch verschränkten Geäst der Douglasien eine kleinere Baumart, die Matt auf den ersten Blick nicht erkannte, fahlgelb ihr Herbstlaub. Ein strenger Geruch entströmte dem Wald.
    Aruula verschwand schon zwischen den Stämmen. »Komm!«, tönte ihre Stimme aus dem Halbdunkel.
    Matt staunte noch immer den Waldrand an. Selten hatte er derart hohe Douglasien und so mächtige Roteichen gesehen. Endlich setzte er sich in Bewegung. Hinter ihm schleifte der improvisierte Schlitten mit den Kleidern durch Gras und niedriges Gestrüpp.
    Zwischen den ersten Bäumen blieb der Mann aus der Vergangenheit stehen. Seine Hand glitt über die feinrissige Rinde der kleineren Baumart mit dem fahlgelben Laub. Die handflächengroßen Blätter, die stechapfel- ähnlichen Früchte, die schmalen, weit über fünfzig Meter hohen Stämme - es dauerte ein Weilchen, bis Matt den Baum erkannte.
    »Komm endlich!«, rief Aruula von weitem.
    »Es wird bald dunkel!« Der penetrante Gestank war es schließlich, der den Namen der Baumart aus der Mottenkiste von Matts Erinnerung lockte. Gingko. Nur der Samen eines weiblichen Gingko stank so unangenehm.
    Gedankenverloren ging er weiter. Sein Blick verlor sich im Dämmerlicht zwischen den Stämmen. Von Zeit zu Zeit sah er Aruulas Gestalt, wenn sie stehen blieb und ihm winkte.
    Ihm waren ein paar Parks und Straßenkreuzungen in Riverside eingefallen, an denen Gingkos gestanden hatten. Und ihm war eingefallen, dass ein Gingko vor seinem Elternhaus gewachsen war. Sein Vater hatte ihn gepflanzt - am 26. März 1980, zwei Monate nach Matthew Drax' Geburt. Manchmal, wenn er als Junge seinen Geburtstag im Garten des elterlichen Grundstücks feierte - der Gingko war von der Terrasse aus sichtbar -, hatte er seinen Geburtsbaum angesehen und sich gewünscht, so stark und widerstandsfähig wie er zu werden. Und ähnlich alt.
    Matt legte den Kopf in den Nacken und lachte laut.
    Wieder blieb Aruula stehen. »Was ist los mit dir, Maddrax?« Unwillig runzelte sie die Stirn.
    Er ging an ihr vorbei und lachte. »Nichts, gar nichts…« Gingkos wurden über fünfhundert Jahre alt.
    Hangaufwärts drangen sie in den Wald ein. Je dunkler es wurde, desto mehr Geräusche glaubten sie um sich herum zu hören:. Überall raschelte, knackte und scharrte es.
    Sie erreichten einen Fels, der aus dem Wald ragte. Um ihn herum standen die Bäume lichter, sodass man den dunkelgrauen Himmel sehen konnte.
    Sie fanden eine Höhle. Noch war es hell genug, um die eigene Hand vor Augen zu erkennen.
    Mit dem Schwert schlug Aruula leidlich gerade Äste aus Gingkos und Eichen. Aus ihnen errichtete sie eine Art Sprossenwand und hängte die nassen Kleider daran auf. Matt suchte Bruchholz zusammen und schichtete es auf.
    Mit einem Drillbogen entfachte er das Feuer. (Wann hatte eigentlich das Feuerzeug aus seinem Notausrüstung den Geist aufgegeben? Er erinnerte sich nicht mehr daran…) Sie ließen es zur Glut herunterbrennen und stellten die Sprossenwand mit den nassen Klamotten darüber auf.
    Den Durst konnten sie stillen: Am See hatte Aruula ihren Lederbeutel mit Wasser gefüllt. Doch für die Jagd war es schon zu dunkel. Ihre Mägen knurrten, als sie sich im Inneren der Höhle in ihre Decken rollten und aneinander drängten.
    ***
    In dieser Nacht schlief Matt traumlos und tief. Es war schon hell, als jemand ihn rüttelte. Das erste, was ihm der neue Tag zu bieten hatte, waren Aruulas Augen über ihm. Schlaftrunken fasste er ihr Gesicht und wollte sie küssen. Sie wehrte seine Arme ab, und jetzt erst fiel ihm der harte Zug in ihrer Miene auf. Sofort war er hellwach.
    »Was ist los?«, fragte er.
    »Komm mit.« Aruula stand auf und verließ die Höhle. Matt folgte ihr. Vor der Sprossenwand mit den Kleidern blieb sie stehen und deutete in den Morgenhimmel.
    Matts Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm.
    Einige hundert Meter entfernt glitt über dem Waldhang die vertraute Silhouette eines Riesengeiers vorbei. Und bald darauf zwei weitere.
    »Diesmal haben sie es nicht auf uns abgesehen«, sagte Aruula. Der vierte Kondor taucht kurz über den Wipfeln auf. »Dort drüben muss es etwas anderes geben, das ihnen Appetit macht.«
    Matt zuckte mit den Schultern und griff nach seiner
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