0468 - Grab-Phantome greifen an
Kurve der kleinen Straße hinein, die sich Stachelsgut nannte. Auch dort sah sie keinen Menschen.
Uwe Kunz hatte das Tor aufgestoßen und sich so hingestellt, daß Elke ihn passieren konnte. »Komm endlich, hier ist alles normal. Ich sehe die Steine, aber sie tanzen nicht.«
»Ja, ja.« Es war zu hören, wie beunruhigt Elke trotzdem war. Sie hüllte sich so eng wie möglich in ihren blauen Wollmantel, als könnte ihr dieser Schutz vor dem Unabwendbaren geben.
Hinter ihrem Mann betrat sie den Geländestreifen zwischen Kirche und Mauer. Dabei versuchte sie, so leise wie möglich aufzutreten, und sie kam sich plötzlich vor wie ein Dieb. Sehr langsam bewegte sie den Kopf und schaute sich um.
Viel war nicht zu sehen, weil auf dem Gelände keine Lichtquelle existierte. Das Licht der Lampe an der Bushaltestelle reichte nicht bis über die Mauer.
»Ich bin ja schon oft hier gewesen, aber noch nie habe ich eine Gänsehaut bekommen«, flüsterte sie ihrem Mann zu.
»Das machen Olivers Erzählungen.«
Elke schwieg. Statt dessen schaute sie sich um. Die Grabsteine waren trotz der schlechten Lichtverhältnisse zu sehen. Alte Steine von unterschiedlicher Größe, verwittert, mit Moos bedeckt, schauten krumm und schief aus dem Boden. Sie bildeten zwar einen Halbkreis, standen aber nicht in einer Reihe. Mal wuchsen sie näher zur Mauer hin aus dem Boden, mal in der Nähe der Kirche.
Ordnung hatte hier niemand geschaffen.
Und die Steine standen ruhig. Wenn sich etwas bewegte, dann nur das alte Laub. Über Uwe Kunz wuchsen die kahlen Zweige eines Laubbaums in die Höhe. Sie reichten mit ihren Spitzen fast bis an die Kirchenmauer, als wollten sie dort kratzen.
Die Kapelle selbst stach von der Dunkelheit besser ab, weil man sie hell gestrichen hatte. Das dunkle Dach, der kleine Anbau an der Nordseite, davor die Rundung, wo auch der Altar stand.
Uwe Kunz ging weiter. Nur seine Schritte knirschten. Er trat das hart gefrorene Laub zusammen und näherte sich der Kapellentür.
Elke war zurückgeblieben. Sie stand in ihren Mantel gehüllt wie ein Denkmal. »Aber da ist doch abgeschlossen.«
Uwe drehte sich um. Er lächelte und holte einen Schlüssel aus der Tasche.
Elke kam näher. »Woher hast du den denn?«
»Pfarrer Himperich überließ ihn mir.«
»Und wie kam er dazu?«
»Ich hätte ihn dir oder Silvia morgen gegeben, weil der Pfarrer nach Köln muß. Er weiß nicht, wie spät es wird, wenn er zurückkommt. Wenn jemand in die Kirche muß, dann hätte er sich bei dir melden sollen. Die Mannschaft von der Baufirma will ja auch anrücken.«
»Ja, das stimmt.« Elke blickte zurück. Sie hatte das Gefühl, als läge ein fahler Glanz auf den zahlreichen Grabsteinen, aber das mußte täuschen, weil das Licht der Sterne nicht so klar war.
»So werden sie nie mehr stehen«, sagte sie und atmete tief aus.
»Ich finde den Platz an der Kirchenmauer auch besser«, kommentierte ihr Mann.
»Da bin ich anderer Meinung. Man soll das Alte so lassen, wie es einmal gewesen ist.«
»Willst du in die Kirche?«
»Muß das sein?«
»Nein, aber ich wollte dir den Ort zeigen, wo sie das alte Eisenkreuz gefunden haben.«
»Ist die Stelle nicht zugeschüttet worden?«
»Nein. Man will dort weitergraben. Vielleicht finden sich noch andere Dinge aus karolingischer Zeit. Scherben, Waffen, was weiß ich. Vielleicht auch Knochen.«
»Hör auf, Uwe, das macht mir Angst.«
Herr Kunz lächelte, bückte sich und suchte das Schlüsselloch.
Diesmal nahm er die Lampe zu Hilfe.
Der Schlüssel war ziemlich lang, bestand aus Eisen und ließ sich nur mühsam drehen. Elke bekam wieder eine Gänsehaut, als ihr Mann die Tür aufstieß, denn diese schabte leicht über den Boden und knarrte auch in den Angeln.
Der Schatten eines Vogels huschte hinter ihnen vorbei. Flatternd flog das Tier in ein Baumgeäst.
Uwe Kunz betrat als erster die Taufkirche, schaltete die Taschenlampe ein und ließ den Strahl wandern. Er glitt über die einfachen Holzbänke bis hin zum Altar, der gerade wegen seiner Schlichtheit bestach und in die Kapelle paßte.
Neben dem Altarstein war die Erde aufgewühlt worden. Da unten hatte man auch das Kreuz gefunden.
Uwe schritt auf den Altar zu. In der Kapelle war es kalt. Der Atem dampfte vor den Lippen des Ehepaars, und nur die Schritte des langsam schreitenden Mannes waren zu hören.
Elke folgte ihm. »Wie weit willst du denn noch gehen?« fragte sie flüsternd.
»Ich möchte noch einen Blick hinter den Altar werfen.«
»Willst
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