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0446 - Höllenfrost

0446 - Höllenfrost

Titel: 0446 - Höllenfrost
Autoren: Werner Kurt Giesa
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»Leben!« brüllte er durch den Schankraum. »Leben will ich! Ich will nicht sterben!«
    »Niemand lebt ewig, alter Mann«, sagte ein Athapasken-Indianer, der am Nebentisch saß. »Ich werde sterben, der Wirt wird sterben, der Mann vom Schatzamt, der uns die Steuern abnimmt, wird sterben. Und du auch. Was soll’s? Der Große Geist nimmt die zu sich, die er liebt.«
    Briggs ließ den Arm mit der Whiskyflasche sinken. Finster starrte er den Indianer an. »Wie heißt du?«
    »Porter«, sagte der Rote. »Neil Porter. Hast du was dagegen, alter Mann?«
    »Neil Porter«, sagte Briggs. »Ich wünsche dir ein langes Leben voll Glück und Zufriedenheit. Und ich wünsche dir das, was ich niemals finden werde.«
    »Und was ist das?« fragte der Athapaske.
    »Seelenfrieden«, sagte Briggs. Er stapfte durch die Schankstube nach draußen. Er war noch nüchtern genug, um nicht müde zu werden und zu stürzen, obgleich nur noch ein Viertel in der Flasche war. Briggs stieß die Tür auf und trat nach draußen. Ein kalter Wind pfiff ihm entgegen. Ein paar Schneeflocken tanzten vor seinem Gesicht.
    Er stieß ein grimmiges Gelächter aus. Dann griff er nach seinem Packen und dem Remington-Repetiergewehr. Er hatte die Sachen draußen vor der Tür gelassen, das Gewehr, damit niemand unbefugt damit herumspielte und in der Kneipe einen Schuß abfeuerte, und sein Marschgepäck, damit es ihm nicht gestohlen wurde. Was draußen lag, war tabu. Was sich in geschlossenen Räumen befand, war stehlbar.
    Er wußte nicht genau, wohin er wollte. Es war wie oft in den letzten Wochen - ein Spaziergang durch die Kälte. Dann wieder zurück ins Warme, die Suche nach einem Schlafplatz. Er, der jahrzehntelang vor Menschen floh, suchte jetzt ihre Nähe. Sie mußten ihm helfen. Er wollte nicht der Hölle verfallen. Doch mit wem konnte er reden? Wer konnte ihm helfen?
    Die Angst fraß ihn auf.
    Die Angst würde ihn, den körperlich Gesunden, töten. Die Angst vor dem Höllenfeuer.
    Der Athapaske stand in der Tür und sah dem Trapper nach.
    »Ein Schatten schwebt über ihm«, murmelte er im Selbstgespräch. »Dieser Mann ist längst tot. Er lebt nicht in Harmonie mit dem Großen Geist.«
    Er ahnte nicht, wie recht er hatte. Seit vierzig Jahren lebte Briggs von allen guten Ceistern verlassen. Er lebte mit dem Teufel.
    Aber nicht mehr lange…
    ***
    Währenddessen jagte ein Flugzeug, in dem Professor Zamorra und seine Begleiterin saßen, über den Atlantik. Es war recht einfach gewesen, blitzschnell noch zwei Tickets zu bekommen; seit der Golfkrise waren nur noch die wenigsten Flüge voll ausgelastet. Früher hatten sie schon einmal auf die nächste oder übernächste Maschine warten müssen. Jetzt ging es sofort.
    Zamorra fieberte innerlich. Er hoffte, von Yves Cascal, den man l’ombre, den Schatten, nannte, mehr über das seltsame Erlebnis in jener Traumwelt zu erfahren.
    Immer wieder versuchte er, sich zu ruhigem Denken zu zwingen, aber er konnte es nicht. Die Hoffnung, daß Tendyke, die Peters-Zwillinge und Julian noch lebten, schürte ein Feuer in ihm. Es wäre ein Wunder. Zu viele Freunde hatte er in den letzten Jahren sterben gesehen. Tanja Semjonowa, Balder Odinsson, Kerr. Ansu Tanaar, Bill Fleming - und jetzt drei Freunde auf einen Schlag und dazu das Kind, das der Schwarzen Familie eine unangenehme Überraschung bereiten sollte, wie Tendyke angedeutet hatte. Es hatte Zamorra schwerer getroffen, als er nach außen zugab. Aber wenn sie nicht tot waren, wenn es nur eine Täuschung gewesen war…
    Er fieberte, er brannte. Das Erlebnis in der Traumwelt steckte ihm noch in den Knochen. Er wußte, daß er in diese Traumwelt nicht wieder zurückkehren konnte, weil sie mit dem Verschwinden des Träumers, vermutlich seinem Erwachen, erloschen war. Aber er mußte mittels des Amuletts irgendwie hineingekommen sein. Ebenso wie Ombre. Möglicherweise fanden sie gemeinsam eine Möglichkeit, die Spur aufzunehmen, die dorthin führte, wo der Träumer sich befand.
    Julian.
    Ein kleines Kind.
    Es war unglaublich. Aber Julian war schon im Moment seiner Geburt anders gewesen als andere Babies. Das bewies seine telepathische Botschaft, die Nicole damals aufgefangen hatte: »ICH BIN!«
    Zamorra hatte Julian nie kennengelernt. Er war zu spät gekommen. Abeier begann wieder zu hoffen.
    Dieser Junge mußte etwas ganz Besonderes sein.
    Zamorra betete, daß Nicole sich nicht irrte. Daß jener Herr der Traum weit wirklich Julian Peters war.
    Aber ein Kind…?
    Doch war es das
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