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04 - Spuren der Vergangenheit

04 - Spuren der Vergangenheit

Titel: 04 - Spuren der Vergangenheit
Autoren: Manfred Weinland
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verstummten.
    Ts’onot versank in einem Bewusstseinszustand, den Oxlaj Lomob nannte – Messer. Denn im Lomob schnitt der Geist Löcher in das Hier und Jetzt, gewährte Einblicke in Geschehnisse, die in der Zukunft lagen. Manchmal nur Augenblicke. Manchmal Monate oder gar Jahre.
    Ts’onots Kehle wurde eng. Er sah Oxlaj, als stünde der Opferpriester nur wenige Schritte von ihm entfernt auf einer kleinen Lichtung. Und ebenso klar sah Ts’onot das schreckliche Wesen, das hinter Oxlaj lauerte, bereit, ihn in Stücke zu reißen …
    ***
    Oxlaj starrte mit hypnotisierender Eindringlichkeit auf das Objekt seiner Begierde. Die haarige Spinne, deren Biss einen Menschen zu töten vermochte, schien seinen Blick aus winzigen Perlenaugen zu erwidern.
    Oxlaj blendete die restliche Umgebung aus seiner Wahrnehmung aus und stellte eine spirituelle Verbindung zu dem Spinnentier her. Anschließend sandte er beruhigende Schwingungen, um es an einem Angriff zu hindern. Eine simple Botschaft: Wenn du mich verschonst, verschone ich dich! Ein Pakt, den nur geübte Schamanen einem niederen Wesen zu vermitteln vermochten.
    Oxlaj hatte die Methode von jenem Nacom erlernt, in dessen Haus er aufgewachsen war. Sein inzwischen verstorbener Lehrer hatte mehr über die Mysterien von Leben und Tod gewusst als jeder andere, dem Oxlaj jemals begegnet war.
    Ohne den Blick von der Spinne zu wenden, tastete Oxlaj nach dem armlangen, fingerdicken und an einem Ende gegabelten Werkzeug, das kunstvoll verziert in einer Schlaufe seiner Tunika steckte. Lautlos zog er es heraus und setzte die Gabel gerade an, um seine Beute damit auf dem Boden des Waldes zu fixieren, als …
    … seitlich Ts’onot herangestürmt kam.
    Der Jüngling, den der Herrscher persönlich in seine Obhut gegeben hatte, rannte an Oxlaj vorbei zum Rand der Lichtung, auf der der Opferpriester die gefährliche Spinne entdeckt hatte, deren Gift sich für vielerlei Zwecke verwenden ließ.
    Bevor Oxlaj auch nur nach Ts’onot rufen konnte, hatte dieser sich bereits ins Dickicht gestürzt und begonnen, mit seiner Kriegskeule auf etwas einzudreschen.
    Ein paar Herzschläge lang hing ein hohes Wimmern über dem Gebüsch, in dem Ts’onot verschwunden war. Oxlaj stand wie betäubt da. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass Ts’onots Auftritt die Spinne verjagt hatte. Oxlaj konnte von Glück sagen, dass sie seine Unaufmerksamkeit nicht dazu genutzt hatte, ihn anzuspringen und sein Schicksal zu besiegeln.
    Plötzlich teilten sich die Zweige des Busches und Ts’onot streckte den Kopf heraus. Sein sonst so kindlich wirkendes Gesicht war überschattet von einem Erlebnis, das ihn bis ins Mark getroffen zu haben schien. Er wirkte gefasst, aber auch extrem beeindruckt von dem, was hinter ihm lag.
    Was im wahrsten Sinne des Wortes hinter ihm lag .
    »Ts’onot …«
    Der Jüngling zog den Kopf zurück und trat in gebückter Haltung aus dem Gestrüpp heraus. Oxlaj begriff sofort, warum sein Schützling – der nun offenbar ihn beschützt hatte – dabei angestrengt schnaufte. Ts’onot hielt etwas fest in seinen Händen und schleifte es hinter sich her.
    Einen Körper.
    Den Körper, in dem noch ein Fünkchen Leben zu wohnen schien, denn eine der Gliedmaßen zuckte aus eigener Kraft, als Ts’onot losließ und sich aufrichtete.
    Oxlaj starrte und schauderte. »Was bei allen Göttern ist das  …?«
    »Es hat dich belauert«, entgegnete Ts’onot. »Ich war beim Pilzesammeln, als die Vision über mich kam. Ich spürte sofort, dass du in Gefahr warst.«
    Die letzten Zuckungen der Kreatur erlahmten. Dann lag sie völlig regungslos zwischen Ts’onot und seinem Lehrer im Gras der Lichtung.
    Ich habe es umgebracht , dachte Ts’onot ohne Bedauern. Es verursachte ihm fast körperliches Unbehagen, die absonderliche Gestalt zu betrachten.
    Und ebenso schien es dem Opferpriester zu gehen. »Ich habe dergleichen noch niemals gesehen«, sagte Oxlaj, ohne den Blick von dem seltsamen Geschöpf zu lösen. »Es sieht entfernt einem Menschen ähnlich, aber es ist keiner.« Mit zwei Beinen und zwei Armen, einem Rumpf und einem Kopf, an dem sich dornenartige Auswüchse befanden, erschöpfte sich die Ähnlichkeit auch schon. Die Haut des Wesens erinnerte mehr an den Chitinpanzer eines Insekts und schimmerte bernsteinfarben. Ein eigentliches Gesicht schien es nicht zu besitzen.
    Wieder erklang Oxlajs Stimme. »Belauert, sagst du? Es hat mich belauert ?«
    Ts’onot nickte hastig und zeigte auf das Gebüsch, in dem er die
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