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04 - Spuren der Vergangenheit

04 - Spuren der Vergangenheit

Titel: 04 - Spuren der Vergangenheit
Autoren: Manfred Weinland
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und jede Abweichung konnte ihn schnell aus der Fassung bringen. Andererseits war das die Gelegenheit, ihren Gast näher kennen zu lernen.
    Ericson hielt ihr mehrere Scheine hin, insgesamt dreißig Euro. »Wären Sie so freundlich?«
    »Sie haben mir noch nicht gesagt, was ich tun soll – falls ich es tue.«
    Er nickte und griff in die Brusttasche seines Hemdes. Diesmal war es kein Geld, was er zum Vorschein brachte, sondern ein zusammengefalteter Zettel, den er ihr reichte. »Bücher«, sagte er. »Ich benötige dringend etwas Fachliteratur aus der nächstgelegenen Bibliothek. Was meinen Sie, wäre das machbar?«
    ***
    Tom taxierte die hübsche Tochter des Hotelbesitzers unaufdringlich und hoffte, dass er nicht wie jemand auf sie wirkte, der einer jungen Frau auflauerte.
    Obwohl er genau das getan hatte, während er wie eine eingesperrte Raubkatze in seinem schäbigen Zimmer auf und ab getigert war. Seine Gedanken kreisten unentwegt um die »Beutestücke« aus Víctor Javier Tirados Penthouse. Der spanische Kunstsammler hatte den Überfall der Indios nicht überlebt – und auch Tom nur knapp und nach einer halsbrecherischen Flucht mit einem Hängegleiter. [1] Seither befanden sich ein rätselhaftes Artefakt und eine nicht minder rätselhafte Kladde im Besitz des Abenteurers.
    Ein Artefakt, das allen Naturgesetzen spottete!
    Und an der Niederschrift biss er sich die Zähne aus.
    Noch.
    Er beherrschte die spanische Sprache recht gut, aber der Inhalt der Kladde war in mittelalterlichem Spanisch abgefasst, dem so genannten Altkastilisch, und da waren seine Kenntnisse eher rudimentär. Ohne Übersetzungshilfen war er aufgeschmissen. Gerne hätte er im Internet nach Hilfe gesucht, aber das gebraucht erstandene Netbook – für ein neues hatte sein Bargeld nicht gereicht und er wollte nicht das Risiko eingehen, seine Kreditkarte zu benutzen – war leider defekt, was er zu spät bemerkt hatte.
    Und deshalb wartete er schon geschlagene drei Stunden darauf, endlich Schritte auf dem Flur zu hören, die einer zarten Person wie Maria Luisa Suárez zugeordnet werden konnten.
    Er war ihr, seit er im Último Refugio abgestiegen war, nur selten begegnet, aber der Eindruck, den sie dabei hinterlassen hatte, war ein uneingeschränkt positiver. Dass die brünette Endzwanzigerin kein leichtes Leben im Hause ihres Vaters hatte, war Tom sehr schnell klar geworden. Offenbar behandelte Álvaro Suárez seine einzige Tochter wie eine Leibeigene, die von morgens bis abends zu »springen« hatte.
    Unter anderen Umständen hätte Tom sich den tyrannischen Gastwirt längst zur Brust genommen. Aber er wollte keinesfalls auffällig werden. Die Bande, die hinter dem Überfall auf Tirado steckte, war seit Yucatán auf seiner Fährte gewesen, und er durfte den Vorteil, sie endlich abgeschüttelt zu haben – hatte er das? – nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Zumal er mittlerweile von den Behörden als mehrfacher Mörder gesucht wurde. Tom zweifelte nicht daran, dass die Toten ausnahmslos auf das Konto der Indios und ihres Auftraggebers, ein Typ ganz in Weiß gekleidet, gingen.
    Die Gegenstände, die sich jetzt in Toms Besitz befanden, schienen wertvoll genug für die Verbrecher, um den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf zu nehmen.
    Maria Luisas tiefer Seufzer klang bereits wie ein Versprechen. »Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte sie, »Aber ich verspreche nichts. Und zuerst muss ich nach meinem Bruder sehen.« Sie zeigte auf die Tür, in deren Schloss sie kurz zuvor einen Schlüssel geschoben hatte.
    »Natürlich«, sagte Tom. »Wenn Sie Hilfe brauchen – ich bin nur eine Tür entfernt.«
    Sie lächelte dieses Nett-von-Ihnen-aber-nein-danke-Lächeln und schien zu warten, dass Tom in sein Zimmer zurückkehrte.
    Er nickte und wandte sich um und vernahm, wie die Tür geöffnet wurde. Gedämpft hörte er noch ein »Da bin ich!«, dann war er in seiner eigenen Unterkunft und ließ die Tür hinter sich einrasten.
    2.
    Vergangenheit
    Yucatán
    Ts’onots Kopfhaut zog sich zusammen, als würden sich winzige Krallen hineingraben und daran zerren – das sichere Zeichen, dass seine heilige Gabe erwachte.
    Der junge Maya erstarrte inmitten seiner Bewegung. Gerade noch hatte er sich nach einem Nanacatl bücken wollen, dem schwarzen Pilz, den zu sammeln Oxlaj ihm aufgetragen hatte.
    Aber das war vergessen.
    Die Wirklichkeit wich vor Ts’onot zurück wie ein fliehendes Tier. Die Farben des Dschungels erloschen. Die Geräusche
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