Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
04 - Spuren der Vergangenheit

04 - Spuren der Vergangenheit

Titel: 04 - Spuren der Vergangenheit
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
schwöre ich, Vater. Ich gelobe, dass alles, was ich dir über die Maschine und ihre Wirkung berichtet habe, wahr ist! Wir werden auf unvorstellbare Weise hintergangen. Der Mann aus Licht will uns alle in die Vernichtung treiben!«
    Ah Ahaual wiegte den Kopf hin und her. Als hätte er Ts’onots Worte gar nicht gehört, wiederholte er: »Wie soll ich dir je wieder vertrauen? Wie? Sag es mir. Wie …?«
    Ts’onot kam sich vor wie ein Opfer, dem gerade bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen wurde. »Ich verstehe deine Zweifel«, sagte er, obwohl er fast daran erstickte. »Aber wenn du mir nicht glaubst, befrage andere. Lass andere in die Zukunft schauen – wir haben fähige Seher. Befehle ihnen eine Zukunftsschau, ohne ihnen zu sagen, was du zu erfahren fürchtest. Lass sie unabhängig voneinander berichten. Ich bitte dich, Vater, nutze jede Möglichkeit, die verhindern könnte, dass wir den schrecklichsten Fehler unserer Geschichte begehen!«
    Der Herrscher schwieg lange.
    Ts’onot wertete es als schlechtes Zeichen.
    Doch dann erklärte Ah Ahaual: »So sei es.«
    ***
    Noch am selben Tag bestellte Ah Ahaual die bedeutendsten Chilam des Reiches in den Palast. Den Weißen bekamen weder er noch sein Sohn zu Gesicht. Vertraute, die der Kazike losschickte, meldeten, dass der Gesandte sich bei den Kunsthandwerkern aufhielt und die Werkstätten seit dem Morgen nicht mehr verlassen hatte. Er prüfte jedes einzelne der fertiggestellten Teile persönlich.
    Ah Ahaual brachte die Seher in unterschiedlichen Räumen unter und versorgte sie mit allem, was sie verlangten, um sich in Trance zu versetzen. Die Methoden waren individuell verschieden. Keiner der Chilam verfügte über eine so ausgeprägte Gabe wie Ts’onot. Sie alle benötigten Hilfsmittel – Drogen –, um sich in einen Rausch zu versetzen, in dem ihre seherischen Talente zur Wirkung kamen.
    Ah Ahaual forderte sie unabhängig voneinander auf, für ihn zu erkunden, wie sich das Reich der Maya in naher Zukunft entwickeln würde – und wie die im Auftrag der Götter erbaute »Maschine« darauf Einfluss nehmen würde.
    Er gab den Chilam die ganze Nacht über Zeit. Am frühen Morgen wollte er sie einzeln befragen, zu welchem Ergebnis sie gekommen waren.
    Ts’onot hielt sich während der ganzen Vorbereitung und Einweisung der Propheten zurück. Auch die Nacht verbrachte er in der Nähe seines Vaters, damit dieser ihm nicht unterstellen konnte, die Chilam beeinflusst zu haben.
    Gegen Morgen erhielt Ah Ahaual die Kunde, dass der Weiße mit der Prüfung der Teile beinahe fertig war. Nun drängte die Zeit. Gemeinsam mit Ts’onot begab sich der Kazike in die Kammer des ersten Sehers. Und von da aus zum zweiten, zum dritten …
    Drei der zehn Chilam hatten es nicht geschafft, eine verwertbare Vision zu erzeugen.
    Aber sieben hatten weder Mensch noch Tier in der Zukunft gesehen. Kein stolzes Reich mehr. Nicht einmal mehr eine Welt . Nichts, gar nichts mehr außer dräuender Dunkelheit und eisiger Kälte.
    Sieben von zehn – das genügte, um Ah Ahaual davon zu überzeugen, wem er vertrauen konnte und wem nicht.
    »Verzeih mir«, wandte er sich an seinen Sohn. Die von Generation zu Generation überlieferte, uralte Prophezeiung der Maya, das Ende der Zeiten betreffend, schien sich auf absonderliche Weise erfüllen zu wollen.
    Sie besprachen das weitere Vorgehen, dann trennten sie sich voneinander. Ah Ahaual ging mit einem festen Vorsatz in die eine Richtung, Ts’onot mit klaren Instruktionen in die andere.
    ***
    Als Ah Ahaual die Werkstätten betrat, fand er sie zu seiner Verwunderung verlassen vor. Kein lebendes Wesen hielt sich darin auf. Nur der Gesandte der Götter, der damit beschäftigt war, ein Bauteil auf ganz eigene Weise auf seine Formvollendung zu überprüfen.
    Sein transparenter, leuchtender Körper war halb mit einem der Arbeitstische und dem darauf liegenden Werkstück verschmolzen. In der Haltung, in der Ah Ahaual ihn antraf, wirkte das Bauteil wie ein sichtbar gemachtes Organ des Gesandten. Lichtbahnen huschten über das Gold, glitzerten im Kristall, ließen die Jade grün erstrahlen, verhielten hier, glitten weiter, um an einer anderen Stelle zu verharren, strichen eine Kante entlang oder wirkten wie ein Pfeil, der sich in den Gegenstand hineinbohrte.
    Als der Weiße Ah Ahaual bemerkte, erlosch das Lichtspiel. Er trat mit einem Schritt aus der Werkbank heraus und manifestierte sich als täuschend echtes menschliches Wesen. Nur war alles an ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher