0364 - Mongolenfluch

Metallstück durch die Zweige. Es stank beißend nach heißem Metall.
    Tendyke zählte. Countdown. Bei Null wagte er sich aus dem Gestrüpp zu befreien, weil keine weitere Explosion erfolgte.
    Er sah eine fette schwarze Qualmwolke, die dort aufstieg, wo der Hubschrauber und der Geländewagen gewesen waren. Unter der schwarzen Wolke knisterten rotgelbweiße Flammen in einem schwarzen Gerüst, das nur bruchstückweise zu sehen war.
    Tendyke schüttelte sich.
    Er konnte den Geländewagen nicht sehen. Nicole auch nicht! Er begriff langsam, daß er nur ganz knapp mit dem Leben davongekommenî war. Und diesmal wäre es endgültig gewesen. Er hatte keine Zeit gehabt, sich geistig Avalon zu nähern wie damals, als der von einem Dämon beeinflußte und gesteuerte Bill Fleming ihm eine Kugel in den Rücken jagte und ihn für tot liegen ließ…
    Damals hatte er nach Avalon ausweichen und sein Leben erneuern können aus dem großen Reservoir jenseits der Träume. Doch Avalon war weit und der Weg kompliziert. Es bedurfte Vorbereitungen, die Zeit kosteten.
    Tendyke atmete tief ein und stieß die Luft in einem lauten, langanhaltenden Schrei wieder aus den Lungen. Dann erhob er sich taumelnd.
    Kurz wurde ihm schwarz vor den Augen, aber er bekam sich wieder unter Kontrolle.
    Der Hubschrauber brannte aus. Wo war der Geländewagen? Der war doch vom Aufprall der Kufen erwischt und umgeworfen worden! Und wo war Nicole?
    Da sah er Zamorra. Der Professor lag bewußtlos gut vierzig Meter entfernt in nördlicher Richtung. Dort stand auch der Geländewagen. Er sah stark beschädigt aus. Das Dach war zusammengedrückt, und er stand merkwürdig tief. Und da war Zamorra… und der fremde Mann.
    Es durchfuhr Tendyke wie ein Schlag. Er starrte den Fremden an.
    Ein hochgewachsener Mongole mit kahlem Schädel, über den sich eine Punkte-Tätowierung zog.
    Wang Lee Chan.
    Der Schreck, in Zusammenwirkung mit der Anstrengung, dem Absturzschock und der Schwächung durch den Hieb der Pilotin, nahmen Tendyke nun doch das Bewußtsein.
    ***
    Wang Lee Chan schloß die Augen und versenkte sich in sich selbst, einige Minuten lang stand er so da, dann war er wieder klar, hatte sich erholt von seiner rasend schnellen Aktivität. Er wußte, daß er um Haaresbreite dem Tod entgangen war.
    Wie die anderen.
    Eine Portion Glück war dabeigewesen, und seine ungeheure Reaktionsschnelligkeit. Als der Hubschrauber das Dach des Geländewagens traf, hatte Wang das einzige getan, was noch möglich war: Herunterschalten und Vollgas. Der Wagen hatte sich zwar noch auf die Seite gelegt, aber Wang hatte ihn auf zwei Rädern aus der Gefahrenzone rasen lassen. Er war wieder geradegekippt, und durch die nach außen aufgeplatzte Tür hatte sich der Mongole ins Freie geschnellt, abgerollt und war wieder aufgesprungen. Er sah eine Frau aus dem Kopter fliegen, er hetzte hinüber und zerrte sie in eine Bodenvertiefung. Als er sich wieder nach dem Hubschrauber umsah, der jetzt auf der Seite lag, erkannte er zwei andere Männer, von denen sich einer abmühte, den anderen aus der Gefahrenzone zu schleppen.
    Wang hatte eingegriffen.
    Es hatte alles nur wenige Augenblicke gedauert. Nicht einmal eine Minute war vergangen, bis der Hubschrauber explodierte. Wangs jahrelanges Training, durch Meditation unterstützt, hatte ermöglicht, daß er so schnell war. Nur wer sich ebenfalls diesem Training unterwarf, hätte eine Chance gehabt, ebenso rasch reagieren zu können. Aber Wang kannte keinen, der diese Perfektion erreicht hatte. Ohne unbescheiden zu sein, konnte er von sich behaupten, einmalig zu sein.
    Er hatte den höchsten Grad erreicht.
    Diesmal hatte es ihm das Leben gerettet.
    Er sah sich an, wen er da gerettet hatte.
    »Das gibt es nicht«, murmelte er. Er kannte diese Personen!
    Das war - Professor Zamorra, sein Erzgegner. Da war dessen Gefährtin Nicole Duval! Und der Mann drüben bei dem Gesträuch - der Beschreibung nach mußte das jener Abenteurer sein, der sich Robert Tendyke nannte.
    »Bei den Schwingen des rotstirnigen Drachen«, murmelte Wang Lee. »Diese Leute im Hubschrauber - und ich habe sie gerettet?«
    Aber er konnte trotzdem nicht unfroh darüber sein. Er befand sich in einem Zwiespalt der Gefühle. Diese Menschen hatten einen Hubschrauber auf ihn stürzen lassen, um ihn zu vernichten. Er hatte Zamorra bisher viel zugetraut, nicht aber einen Mordversuch dieser Art.
    Mordversuch… ?
    Nein.
    Es wäre ein Selbstmord gewesen. Zamorra war aber nicht der Mann, der sein