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029 - Der Unheimliche

029 - Der Unheimliche

Titel: 029 - Der Unheimliche
Autoren: Edgar Wallace
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düstere Umgebung zu passen wie der kleine Maiglöckchenstrauß auf ihrem Tisch.
    Elsa Marlowe war von zierlichem Wuchs, hatte ein rundes Kinn, eine gerade Nase und feines goldenes Haar. Ihre zarte Gesichtsfarbe veranlaßte sogar Frauen, sie ein zweites Mal anzuschauen, und ihre Augen waren von einem tiefen Graublau.
    Sie zog die Stirn kraus, während sie ihrer lebhaften Kollegin nur widerstrebend zuhörte. Elsa schätzte Miss Tames Meinung nur, soweit sie sich mit der Stenographie beschäftigte; ihre sonstigen Ansichten fand sie romantisch und ziemlich überspannt. Aber wenn Miss Tame die Geschäfte der Firma Amery & Amery als ›undurchsichtig‹ bezeichnete und Paul Roy Amery ›unheimlich‹ nannte, mußte Elsa ihr beipflichten.
    »Viele Leute lachen über das Kino«, erklärte Miss Tame ernsthaft, »aber man kann da doch eine Menge Charaktere kennenlernen. Ich habe im Film schon Schurken gesehen - aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der dem Major gleicht. Wirklich unheimlich! Man braucht ihn ja nur anzusehen, Miss Marlowe. Mir ist einfach unbegreiflich, warum Ihr Onkel, der beste Mann der Welt, Sie überhaupt hier arbeiten läßt!«
    »Wir werden uns schon an Amery gewöhnen«, sagte Elsa seufzend. »Neue Leute sind immer erst etwas unbequem, und wahrscheinlich ist er neu im Geschäftsleben. Ich habe gehört, daß er in Indien Beamter war . ..«
    Sie brach ab, ehe sie zuviel ausplauderte. Sie durfte nichts von den geheimnisvollen Briefen erwähnen, die Amery ihr diktierte und in denen ganze Zeilen in unverständlichen Codewörtern vorkamen.
    »Mr. Tarn weiß bestimmt mehr über ihn«, bemerkte Miss Tame. »Sie waren gestern stundenlang beisammen -ich habe es gehört, weil sie sehr laut gesprochen haben!«
    Elsa schaute die andere verwundert an.
    »Haben sie etwa Streit gehabt?« fragte sie ungläubig.
    »Sie haben einen wahnsinnigen Krach gehabt!« erklärte Miss Tame triumphierend. »Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Sie waren gerade zum Lunch fort, Miss Marlowe. Wenn ich ›stundenlang‹ sage, meine ich ›zwanzig Minuten‹. Ihr Onkel war furchtbar aufgebracht.«
    Mr. Maurice Tarn war in den letzten Tagen leicht gereizt, und Elsa glaubte, daß es ihre Schuld war. Doch warum sollte Mr. Amery mit seinem Geschäftsführer streiten? Sie kannten sich doch kaum, denn Paul Amery hatte erst vor einem Monat die Leitung der Firma übernommen.
    »Täuschen Sie sich auch nicht?« fragte sie.
    Bevor Miss Tame jedoch antworten konnte, ertönte ein lautes Klingelzeichen. Elsa ergriff hastig Stenoblock und Bleistift und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer ihres Chefs.
    Der Mann hinter dem großen Schreibtisch starrte auf einen vor ihm liegenden Brief und schien seine Sekretärin nicht zu bemerken.
    Mit gespannter Aufmerksamkeit las er das Schriftstück durch und schien sich jedes Wort einprägen zu wollen. Fast eine Minute verging, ehe Paul Amery mit jenem Ausdruck in seinem scharfgeschnittenen Gesicht aufschaute, den Elsa verabscheute.
    Es war nur die Andeutung eines spöttischen Lächelns; aus seinen kalten blauen Augen fiel ein forschender Blick, den Elsa fast als beleidigend empfand.
    »Nun?«
    Seine Stimme klang kühl, als er fragend aufblickte. Elsa fand, daß er ein gutaussehender Mann war. Die heiße Sonne Indiens hatte sein Gesicht gebräunt, und er schien etwas vom Wesen jener Dschungeltiere zu haben, die er gejagt hatte. Jedesmal, wenn sie ihn geräuschlos durch die äußeren Geschäftsräume kommen sah, mußte sie an einen Panther denken.
    »Nun?«
    Er erhob niemals seine Stimme, er verriet auch keine Ungeduld, und doch war sein »Nun?« wie ein Peitsche nschlag durch die Luft.
    »Sie haben geläutet - und Sie wollten auch die Frachtbriefe von Chi Fung und Lee sehen, Mr. Amery«, stotterte Elsa und ärgerte sich über ihre Befangenheit. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er die Papiere, die sie hereingebracht hatte. Schweigend überflog er sie und legte sie dann zur Seite.
    »Warum fürchten Sie sich vor mir?«
    Diese Frage kam Elsa so unerwartet, daß sie ihn nur verdutzt anstarrte. Endlich hatte sie sich gefaßt.
    »Ich fürchte mich nicht vor Ihnen, Mr. Amery«, erwiderte sie und versuchte, ihrer Stimme Sicherheit zu geben. »Was für eine seltsame Frage! Ich habe vor niemandem Angst!« fügte sie herausfordernd hinzu. »Das wäre wohl auch nicht die richtige Einstellung einer Sekretärin zu ihrem Chef.«
    Amery schien gar nicht auf ihre Worte zu achten. Er schaute aus dem Fenster in die sonnige Wood
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