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025 - Die Spinne

025 - Die Spinne

Titel: 025 - Die Spinne
Autoren: Maurice Limat
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Irgendetwas muss nun geschehen. Etwas sehr Einfaches, Natürliches, und dennoch etwas Schreckliches.
    Eines jener Dramen, wie sie immer und überall in der Tierwelt ablaufen.
    Ich warte.
    Die Maus rennt hin und her. Nun stößt sie an die Glasscheibe, und ich sehe wohl, dass diese Art Hindernis neu ist für sie. Es versteht gar nichts mehr, das arme Tierchen.
    Dann flieht die Maus ans andere Ende, wieder zurück, und wieder beginnt alles von neuem.
    Ich bemerke, dass sie ihr Instinkt offenbar davor warnt, in deine Ecke, an dein Netz zu kommen. Und du? Du rührst dich nicht. Ich hätte dich für hungriger gehalten. Du hast dich ja noch gar nicht gezeigt.
    Vielleicht weidest du dich an der Angst deines Opfers. Oder aber du bist unzufrieden mit mir? Hast du keinen Appetit mehr auf Mäuse? Vielleicht möchtest du - Ja, ich weiß, was dir lieber wäre: Ein Vogel.
    Wir haben auch schon mit Professor Chivas darüber gesprochen. Deinesgleichen frisst zweifellos lieber Vögel als Säugetiere.
    Du sollst ihn haben, deinen Vogel, das verspreche ich dir. Dann wirst du mit mir zufrieden sein und meine Wünsche erfüllen.
    Anstatt Silvia und mich zu hassen, uns Unglück zu bringen, wirst du uns beschützen. Und deine gefährliche Macht wird über diesem Haus walten, das dein Tempel ist. Dann sind meinen Wünschen keine Grenzen mehr gesetzt, und keiner kann mehr etwas gegen mich ausrichten.
    Aber zuerst musst du einen lebendigen Vogel bekommen. Denn totes Fleisch verschmähst du, es ist deiner nicht würdig.
    Nun hast du dich bewegt, ich habe es gesehen, und die Maus auch.
    Einen Augenblick rennt sie, von Panik ergriffen, ziellos davon. Dann duckt sie sich in die Ecke und rührt sich nicht mehr.
    Der Tod kommt näher. Da bist du, ruckweise tanzt du heran auf deinen acht Beinen, die wie Krebsscheren aussehen, diesen gekrümmten, schwarzen Gliedern, die in wirklichen Krallen enden. Gebannt beobachte ich die Szene.
    Jetzt naht der schicksalhafte Moment, mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen.
    „Jose!“
    Ich schrecke aus meinem Traum hoch. Vor mir, auf der anderen Seite des Kastens, steht Silvia. Ihr bezauberndes Gesicht hat die Frische der Zwanzigjährigen bewahrt, die ich vor fast acht Jahren heiratete.
    Aber ihre Lippen zittern leicht, und ihre schönen, graublauen Augen blicken traurig. Ich erwarte einen Vorwurf und will ihm zuvorkommen. So stammle ich: … Ich – ich habe ihr nur ihr Futter gebracht.“
    Ich hatte Angst, sie würde mir meine Grausamkeit vorwerfen. Aber es ging offenbar um ein Haushaltsproblem, ich glaube um die Stromrechnung. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
    Aber als ich sie abends an mich ziehen wollte, erstarrte sie in meinen Armen. Drängen wollte ich sie nicht, und so sagte ich nur leise: „Gute Nacht, mein Liebes.“
    Ich schlief nicht in dieser Nacht. Denn nun hatte ich die Gewissheit, dass ihre Eifersucht erneut aufflammen wird, als ob sie von einer Ahnung erfüllt wäre.
     

     
    Silvias schlanke Finger glitten über die Tasten. Sie war eine wirkliche Könnerin, und Musik war ein Teil ihres Wesens. Jose konnte seiner Frau stundenlang zuhören. Und auch dies war einer der Gründe, weshalb er damals um sie geworben hatte.
    Beethovens Mondscheinsonate klang auf, voller Wehmut und Leidenschaft. Silvias Gedanken waren nicht bei ihrem Spiel.
    „Er liebt mich noch – oh. ich will glauben, dass er es noch tut.“
    Mehr als sie es hätte mit Worten sagen können, tat Silvia früher ihrem Mann mit dieser Sonate ihre ganze Liebe kund. Nun aber erfüllte sie eine eigentümliche Bitterkeit, ja beinahe ein Albtraum.
    Selbst wenn sie spielte, vor allem dann.
    Während ihre Hände weiterhin mit unglaublicher Geschicklichkeit über die Tasten glitten, raste ein ganzer Wirbelsturm von Gedanken durch ihren Kopf.
    Was war nur los? Jose umgab sie nach wie vor mit gleicher Liebe und Fürsorge. Und hielte er dieses Tier nicht im Haus, jener Seitensprung unter tropischer Sonne wäre schon längst vergessen.
    „Ich habe es gehört. Nein, das darf nicht wahr sein, ich muss mich geirrt haben, ich kann es nicht glauben, dass er das gesagt hat.“
    Und weiter glitten ihre Finger mit unvergleichlicher Anmut über die Tasten.
    „Elna, hat er wirklich Elna gesagt? Gewiss nicht, Elna ist weit weg, und außerdem – aber weshalb versteift er sich so darauf, dieses Tier in unserem Haus zu halten?“
    Sie spielt weiter, aber unwillkürlich gleiten ihre Augen in den Salon, wo auf einem kleinen Tischchen ein Vivarium steht. In
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