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024 - Lebendig begraben

024 - Lebendig begraben

Titel: 024 - Lebendig begraben
Autoren: Hugh Walker
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Millie.
    Es klang müde, resigniert.
    Meine Gedanken rasten. Hatten diese Idioten nicht feststellen können, dass ich nicht tot war? War es möglich, dass heutzutage tatsächlich noch jemand lebendig begraben wurde?
    Ich bäumte mich auf, aber es war nur der Geist, der sich vor Entsetzen wand; keinem Muskel teilte sich dieser Impuls mit. Ich lag steif und starr da, als wäre ich wahrhaftig tot. Oder – ich erschrak erneut – war das der Tod? Starb nur das Fleisch?
    Nein, das war nicht der Tod; das war die Hölle.
    Millies Stimme klang plötzlich ganz nah. Stockend flüsterte sie: „Er – sieht so – jung aus.“
    Und Magda – ich hatte ihr Stimme wieder erkannt – erwiderte: „Ja. Sie haben ihn wohl hergerichtet.“
    „Unglaublich jung“, wiederholte Millie und begann, wieder zu schluchzen.
    „Komm jetzt!“ drängte Magda.
    Dann sprach eine männliche Stimme gedämpft: „Verzeihen Sie, gnädige Frau, es ist alles vorbereitet. Ich muss Sie bitten, jetzt die Totenkammer zu verlassen.“
    Die beiden Frauen entfernten sich stumm, und ich war allein mit dem geschäftigen Friedhofsbeamten, der sich daranmachte, meinen Sarg zu schließen. Ich wollte schreien, aber der Schrei wurde in mir erstickt. Der Deckel schob sich knarrend über mich. Das Keuchen des Mannes hörte sich nun dumpf und fern an.
    O mein Gott! Was nun? Wenn ich erst unter der Erde lag, würde mich keiner mehr hören, selbst wenn es mir dann gelang, zu schreien.
    „Alles fertig?“
    „Ja, Herr Pfarrer.“
    „Wo sind Ihre Kollegen?“
    „Sie laden die Kränze auf den Karren.“
    Mir stiegen Tränen der Verzweiflung in die Augen. Ich spürte, wie die Augen feucht wurden – fühlte die Flüssigkeit durch die geschlossenen Lider sickern und die Augenwinkel füllen. Allmächtiger Himmel! Das mussten sie erkennen. Wenn sie nur diesen verdammten Sarg noch einmal öffnen würden!
    Aber sie würden ihn nicht mehr öffnen. Die Erde war bereit, mich aufzunehmen.
    Warum konnten diese verfluchten Tränen nicht ein paar Minuten früher rinnen? Millie hätte sie bemerkt. Sie hatte davon gesprochen, wie jung ich aussähe; sie musste mein Gesicht betrachtet haben.
    Der Sarg wurde hochgehoben. Sie waren dabei, mich zu begraben – und ich hatte eben entdeckt, dass ich lebte.
    Langsam, während sie mich mit schwankendem Gang trugen, kamen die Erinnerungen zurück: Geisslers fanatisches Gesicht, ganz nahe und von Triumph verzerrt; es verschwamm, drehte sich, während ich fiel. Glas splitterte. Ein stechender Schmerz durchzuckte meine Hand. Geissler hatte versucht, mich umzubringen. Ich war ihm auf den Leim gegangen. Und so wie es jetzt aussah, hatte er Erfolg gehabt.
    Ich versuchte, mich herumzudrehen, mich irgendwie zu bewegen. Sicher würden meine Träger jede kleinste Bewegung bemerken; vielleicht auch hören, denn dem Gang nach schienen sie mich auf den Schultern zu tragen. Ihre Köpfe mussten sehr nahe an den hölzernen Wänden des Sarges sein. Aber es kamen nur die Tränen – und sie rannen lautlos.
    Ob sie wussten, dass Geissler mich umgebracht hatte? Es fiel kein Verdacht auf ihn. Kaum jemand wusste von ihm. Nun hatte er seine Rache, und ich dachte bitter daran, welche Kleinigkeiten dazu geführt hatten.
    Es war, als zuckten meine Finger.
    Nach einem Augenblick war ich sicher: ja, sie bebten unkontrolliert. Sie bewegten sich! Ich beschwor sie – und wurde belohnt mit einem winzigen Rucken. Die Starre ließ sich also abschütteln. Wenn mir nur genügend Zeit blieb – genügend Zeit, bevor sie anfingen, die Erde auf mich zu werfen.
    Ich betete und kämpfte, während sie mich auf ihren schwankenden Schultern dahin trugen; ich betete, dass es das letzte Grab im fernsten Winkel dieses Friedhofes war, und dass der Priester sich Zeit ließ.
    Meine Erinnerungen wurden klarer, aber ich schob sie beiseite. Sie waren unwichtig im Moment.
    Ich atmete. Ohne dass es mir bewusst geworden war, hatten meine Lungen angefangen, zu arbeiten. Ich lauschte einen Augenblick in mich hinein. Mein Herz schlug – schwach und zaghaft, aber unleugbar. Es gab keinen Zweifel, ich lebte.
    Der Sarg wurde abgestellt. Ich hörte Metall über Holz scharren, hörte die metallene Kurbel klicken und spürte, wie der Sarg nach unten glitt.
    Zu spät! dachte ich verzweifelt und schloss meine Finger zur Faust, konnte sie aber nur ein Stückchen anheben. Sie fiel dumpf auf den Stoff der Innenverkleidung zurück. Ich war zu schwach, um gegen die Wand zu pochen, die zudem noch gepolstert
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