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024 - Lebendig begraben

024 - Lebendig begraben

Titel: 024 - Lebendig begraben
Autoren: Hugh Walker
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musste endlich Zeit finden, nachzudenken. Denn ich ertappte mich, dass ich manches bereits zu vergessen begann.
    Mit Hilfe des bereitwilligen Arztes, gelang es mir, lästige Besucher fernzuhalten. Ich überließ es ihm, Erklärungen abzugeben und hielt mich ganz im Hintergrund – schwach und krank. Es wäre unmöglich gewesen, mein jugendliches Aussehen zu erklären. Ich verstand es selbst nicht. Ich sah nicht nur aus wie dreißig, ich fühlte mich auch so. Ich war voller Tatendrang, aber ich war vorsichtig genug, nichts zu übereilen.
    Ich färbte mein Haar leicht grau und schminkte mein Gesicht älter. Von weitem mochte es täuschen – aber es täuschte Millie nicht, und auch nicht Magda, die uns besuchen kam. Wenn sie auch nichts sagten, so standen ihnen die Fragen im Gesicht geschrieben; und nicht nur die Fragen – auch eine Spur von Furcht und Entsetzen.
    Ich verspürte es ebenfalls – das Entsetzen. Etwas Unheimliches geschah, und ich verstand es nicht. Ich fand nur eine Erklärung für meine Verjüngung, wenn sie auch alles andere denn wahrscheinlich oder glaubhaft klang: Das Gift, das Geissler mir verabreicht hatte, musste sie bewirkt haben.
    Dr. Penkritz hatte zugegeben, dass das Gift ihm unbekannt gewesen war. Wahrscheinlich war nicht der Gin vergiftet gewesen, sondern der Rand des Glases. Spuren des Giftes mussten über die Verletzung an der Lippe in das Blut gelangt sein. Kurz zuvor hatte ich mit Geissler einen Streit gehabt.
    Es fiel mir schwer, mich zu erinnern. Ich war in seiner Wohnung gewesen – um etwas zu klären – etwas mit seiner Frau. Er warf mir vor, ich hätte sie umgebracht, und dafür wollte er sich rächen. Ich war mit einem gewissen Schuldgefühl zu ihm gegangen, aber ich hatte sie nicht umgebracht; das wollte ich ihm klarmachen an jenem Abend. Dann war dieser Streit gewesen. Ein Kampf. Ich bekam ein paar Hiebe ab, einen direkt auf den Mund. Danach war Geissler plötzlich zur Versöhnung bereit gewesen und hatte mir den Drink angeboten. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, denn er hatte aus der Flasche getrunken.
    Das Glas war es also gewesen. Dann musste er die Leiche in unser Haus geschafft haben, wo meine Frau, Millie, mich fand.
    Über das Gift wusste Dr. Penkritz nicht viel – nur das es sich wahrscheinlich um ein altes südamerikanisches Pfeilgift handelte, von dem heute nur noch bruchstückhafte Rezepte existierten. Über die genauen Auswirkungen des Giftes war nichts bekannt. Man wusste nur aus alten Berichten, dass es schon in minimalen Mengen tödlich war.
    „Und das ist es auch“, betonte Dr. Penkritz immer wieder. Er hätte eindeutig meinen Tod festgestellt. Vor meiner Beerdigung waren bereits Leichenflecken festgestellt worden. Es war einfach nicht zu erklären.
    Woran sollte ich also glauben? Dass ich wie Lazarus von den Toten auferstanden war?
    Ich war nie besonders religiös gewesen. Wunder schienen mir etwas für Narren. Eher glaubte ich an das dämonische im Menschen. Vielleicht war etwas Unsterbliches in uns; das leugnete ich nicht ab; aber sicher nicht das Göttliche. Ich spürte etwas anderes: den Zwang zum Bösen – eine ewig teuflische Verlockung. Vielleicht war sie es, die manches nicht sterben ließ, sondern wieder hervorlockte aus den Gräbern.
    Ich schüttelte den gespenstischen Gedanken ab. Aber irgendetwas tief in mir nährte ihn, ließ ihn nicht los.
    Schließlich dachte ich: also gut, ich war tot; das hatte Dr. Penkritz bestätigt. Und ich lebte, das wusste ich selber. Ich war ein Wunder unseres Jahrhunderts. Welche Schlüsse erwartete man von mir? Keine. Die Öffentlichkeit würde ihre eigenen ziehen, bevor ich noch dazu kam, gründlich über alles nachzudenken; und sie würde mich ins Exil stoßen – mit jener Unbarmherzigkeit, mit der immer alles Ungewöhnliche ausgemerzt worden war in den vergangenen Jahrhunderten.
    Der Mann, der nicht sterben konnte! Interessant, aber nicht ungefährlich, nicht wahr?
    Ich sah es förmlich, wie sie lauerten. Was auch immer geschehen war, ich brauchte eine rationale Basis, auf der ich ein neues Leben beginnen konnte, ohne bewundert, bestaunt oder angefeindet zu werden als der Mann, der aus dem Jenseits kam. Deshalb wies sich Dr. Penkritz an, die Berichte umzuarbeiten, die spätere Untersuchung über die Leichenflecken wegzulassen und auf mögliche bisher unbekannte Auswirkungen des Giftes hinzuweisen. Er war sehr froh über meinen Vorschlag. Er hatte nicht gewagt, ihn selbst vorzubringen. Und unsere Abmachung
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