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0230 - Im Land der Unheils

0230 - Im Land der Unheils

Titel: 0230 - Im Land der Unheils
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
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Sie warnen können, aber es hätte nichts genutzt. Vielleicht hätte es Ihnen allen dreien den Tod gebracht. Beschweren Sie sich bei dem, der diese teuflische Falle errichtet hat. Nehmen Sie die Waffe, für die Ihr Freund gestorben ist, und rächen Sie sich. Wenn Sie es können.«
    »Sie…«, keuchte Nicole. »Sie ver… verdammter Mörder. Sie haben ihn auf dem Gewissen.«
    »Das habe ich nicht«, widersprach der Alte sanft. »Aber ich nehme Ihnen nicht übel, daß Sie so denken.«
    »Gehen Sie!« keuchte Nicole. »Verschwinden Sie, bevor ich Sie umbringe!«
    Zu Zamorras Überraschung lächelte der Alte. »Sie würden mir einen Gefallen damit tun, kleines Fräulein«, sagte er. »Sie ahnen nicht, wie sehr ich mich nach dem Tod sehne. Ich bin schon zu lange hier, doch ich bin ebenso unfähig, zu sterben, wie Sie unfähig sind, zu leben. Der Fluch meiner Rolle. Die Figur, die ich wählte, war zu stark. Alle anderen können sterben, nur ich nicht. Ginge ich hinunter und ließe mich töten, würde ich mich nur am Anfang der Reise wiederfinden. Ich habe es versucht, oft sogar.«
    »Und warum versuchen Sie es nicht weiter?« fragte Zamorra. Er wunderte sich beinahe selbst über seine Worte. Sein bester Freund war vor wenigen Augenblicken einen grausamen Tod gestorben, und er stand da und redete. Aber vielleicht war das auch nur eine Schutzreaktion seines Geistes.
    »Sie könnten es immer wieder versuchen, solange, bis es gelingt.«
    »Sicher. Aber der Neubeginn ist nicht leicht. Es gibt Schlimmeres als den Tod. Ich habe nicht die Kraft dazu. Ich werde Sie noch bis zur nächsten Ebene begleiten. Von dort aus, müssen Sie allein weitergehen. Sie haben die Kristallkugel und das magische Schwert. Benutzen Sie beides, und Sie haben eine Chance. Doch nun«, fügte er in verändertem Tonfall hinzu, »sollten wir ruhen. Wir sind hier sicher. Wir können schlafen. Danach werden Sie kaum noch Gelegenheit dazu erhalten.«
    Schlafen? dachte Zamorra. Nach allem, was geschehen war, erwartete dieser seltsame Alte allen Ernstes von ihnen, daß sie sich hinlegten und schliefen, als wäre nichts geschehen?
    Aber er hockte sich trotzdem in eine Ecke, bettete den Kopf auf den Armen und schloß die Augen.
    Irgendwann gelang es ihm einzuschlafen.
    ***
    Das einzige Geräusch in dem halb verdunkelten Zimmer war das Knistern des Kaminfeuers. Trotz der helllodernden Flammen war es kalt; eine klamme, irgendwie unnatürliche Kälte, die sich im Verlauf der vergangenen Stunden im Zimmer eingenistet hatte.
    Die drei Menschen saßen starr um den kleinen, runden Tisch herum, bewegungslos wie Puppen. Seit Stunden hatte keiner von ihnen auch nur einen Finger gerührt oder irgendein anderes Lebenszeichen von sich gegeben. Ihre weit geöffneten, blicklosen Augen waren starr auf das Spielbrett gerichtet.
    Jetzt bewegte sich einer von ihnen. Seine Hand, die bisher mitten in der Bewegung eingefroren zu sein gewesen schien, sank langsam herab. Der Oberkörper wankte, beugte sich erst vor, dann zur Seite und dann wieder vor, als könne er sich nicht entscheiden, in welche Richtung er fallen sollte. Dann kippte er ganz langsam vom Stuhl. Sein Gesicht zuckte ein letztes Mal und wurde dann schlaff. Die Augen brachen.
    Der Mann war Bill Fleming.
    Und niemand hätte in diesem Moment auch nur das geringste Lebenszeichen an ihm festgestellt.
    Nach medizinischen Maßstäben war er tot.
    ***
    Es war eine unruhige Nacht. Zamorra wachte irgendwann frierend und von Kopfschmerzen geplagt auf. Er erinnerte sich, Geräusche und vage Bewegungen wahrgenommen zu haben, während er im Halbschlaf vor sich hingedämmert hatte, war sich aber nicht sicher, ob dies alles wahr oder nur Schatten eines Traumes gewesen waren.
    Er hob den Kopf, fuhr sich müde mit den Händen über das Gesicht und sah sich in der winzigen Kammer um. Für einen Moment hatte er das verrückte Gefühl, daß der Saal seit gestern Abend geschrumpft war. Aber das mußte eine Täuschung sein.
    Er stand auf, reckte sich und ging zu Nicole hinüber, die zusammengerollt auf dem feuchten Steinboden schlief. Von dem alten Mann war keine Spur mehr zu entdecken.
    Für einen Moment drohte ihn wieder die Erinnerung an das, was gestern geschehen war, zu übermannen. Aber er drängte sie mit aller Gewalt zurück und zwang sich, an das zu denken, was vor ihnen lag. Sosehr er sich gegen den Gedanken wehrte, mußte er zugeben, daß der Alte in einem Punkt Recht hatte: Bills Opfer würde sinnlos werden, wenn sie jetzt aufgaben.
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