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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin
Autoren: Hugh Walker
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Lebenden geborgt – sicher haben Sie den Ausdruck bereits gehört: Ektoplasma. Nehmen Sie Ihre Nachbarn nun an den Händen. Der Kreis ist das perfekte Gebilde für den Fluss der Kraft. Entspannen Sie sich, schließen Sie die Augen, so ist es leichter. Wenn Ihnen Ihr Körper leicht erscheint, so dass Sie ihn kaum mehr fühlen, dann öffnen Sie die Augen wieder. Sie dürfen dann auch die Hände loslassen.«
    Sie wandte sich an den Mann neben ihr: »Sie darf ich diesmal bitten, mich aus der Trance zu wecken.«
    Er nickte.
    Ich fühlte, wie mich jemand an der Hand ergriff. Es war Ornella. Ich reichte auch meinem anderen Nachbarn die Hand.
    Dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Ich hatte nie Schwierigkeiten gehabt, mich zu entspannen, einer der wesentlichsten Vorzüge des autogenen Trainings. Ein wenig anders kam mir das alles vor als bei den drei oder vier früheren Seancen, an denen ich teilgenommen hatte. Hier verlief alles nüchterner, ohne Zeremoniell, wenn man von der Schaffung der dunklen, meditativen Atmosphäre absah.
    Bald fühlte ich mich vollkommen entspannt und sah mich um. Die meisten hatten ebenfalls bereits den Zustand der Entspannung erreicht und blickten auf die Spiritistin, die bereits in tiefer Trance schien. Ich sah, dass nun auch Ornella die Augen öffnete, und dass einige schon begonnen hatten, den Handkontakt aufzulösen. Ich löste den Kontakt mit meinem linken Partner, hielt aber Ornellas Hand weiter, bis ich ihren zögernden Zug verspürte. Einen Moment dachte ich, ob wohl ihr alter Spott wieder mit ihr durchgehen würde, aber Entspannung war kein guter Nährboden für Spott.
    Wir saßen vollkommen still, fünf Minuten, zehn Minuten, vielleicht auch eine halbe Stunde. Zeit bedeutete nichts. Sie war nicht abschätzbar. Dann spürte ich einen kleinen Hauch an meinen Armen und meinem Gesicht – eine Kälte wie von Eis.
    Aber nichts regte sich. Die beiden Kerzen brannten vollkommen ruhig. Dennoch hielt dieser kalte Lufthauch an und brachte einen unbeschreiblichen Geruch mit sich – unbeschreiblich im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fand nichts Vergleichbares in meiner Erinnerung.
    Dann hielt ich unwillkürlich den Atem an. Ein weißlicher Nebel, vage und dünn zuerst, stieg von dem Medium hoch. Er wurde dichter, während Madame merklich in sich zusammensank. Ihr ganzer Kopf war eingehüllt. Von ihm weg streckte sich eine gekrümmte Säule des Ektoplasmas auf die Mitte des Kreises zu, in dem wir saßen. Und während ich gebannt starrte, formten sich grobe menschliche Umrisse und Gesichtszüge. Leicht schwankend hing die geisterhafte Erscheinung mitten unter uns.
    Ich wusste, das war Bellamy, Madames leitender Schutzgeist und der Kontakt zu jenseitigen Sphären. Sein Gesicht war nicht genau erkennbar, aber eindeutig männlich.
    »Bellamy!« sagte der Mann neben mir mit betont deutlicher Stimme. »Kannst du zu uns sprechen?«
    Es dauerte ein paar Sekunden, ehe die Erscheinung mit ›Ja, ich kann‹ antwortete. Ich schauderte unwillkürlich. Es war Madame Ferenczeks Stimme, daran gab es keinen Zweifel. Sie kam auch von dort, wo sie saß. Aber sie war auf eine solch seltsame Art ins Männliche verzerrt, wie es durch einfaches Verstellen der Stimme sicher nicht möglich sein konnte.
    Eine Weile des Schweigens, alle zögerten. Keiner wollte der erste sein.
    »Bellamy«, sagte endlich ein anderer zu meiner Rechten,
    »wer hat Kathie Riehwein ermordert?«
    Das war eine banale Frage, und erfahrungsgemäß kam keine vernünftige Antwort darauf. Es handelte sich um ein Wiener Barmädchen, das vor sechs Tagen erstochen aufgefunden worden war. Der Fall war noch immer nicht aufgeklärt.
    Diese ektoplastischen Geistererscheinungen reagierten im Allgemeinen am eindeutigsten, wenn Fragen gestellt wurden, die mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten waren.
    Auf kompliziertere Fragen kamen in der Regel, wenn überhaupt, unverständliche Antworten, deren Bedeutung vielleicht nur bei einem außerordentlich innigen Verhältnis zwischen Seance-Teilnehmern und Kontrollgeist erfasst werden konnte.
    Die Erscheinung zog es vor, nicht zu antworten.
    »Bellamy«, sagte einer. »Weißt du es nicht?«
    Noch immer keine Antwort.
    »Bellamy, kannst du zu uns sprechen?«
    »Ja, ich kann«, kam deutlich die Antwort.
    Ornella ergriff plötzlich das Wort, und ich sah, dass sie lächelte. »Bellamy«, sie bemühte sich, ihre Stimme zu verstellen, damit der Vater ihres Freundes sie nicht erkannte, »bist du ein
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