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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin
Autoren: Hugh Walker
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Heiligen Jungfrau. Aber das ändert nichts an den dunklen Kräften, die in den Höfen und Gewölben ein verborgenes Dasein führen und nur darauf warten, beschworen zu werden …«
    Sie hielt einen Augenblick inne und wandte sich vom Fenster ab. Traurig fuhr sie fort: »Nur der reine Stein, an dem Blut und Schweiß kleben, ist der magische Schlüssel zur Vergangenheit. Sie aber erstickten es mit Stahl und Beton und Asphalt – als wäre das alles nichts.«
    Sie schnippte mit den Fingern. Seufzend sagte sie: »Ich wohne hier zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite die Schulerstraße mit ihrem Verkehr und Gestank, ihrer Hektik und Arroganz. Da malen sie mir Drudenfüße an die Hauswände – aber nicht aus Furcht oder Hass, sondern zum Spott. Und hier das Stück Vergangenheit, dessen Anblick einen still werden lässt. Wenn mein Haus fällt, fällt auch das …«
    Sie schob den Vorhang wieder vor und deutete auf den Tee, den ich noch nicht umgerührt hatte, seit sie mir nachschenkte.
    »Sie müssen verzeihen, manchmal schwatze ich zuviel. Sie sind ein guter Zuhörer. Ich habe nicht viele …«
    Ich setzte mich wieder, gedankenvoll, und nahm einen Schluck. Dann fragte ich rundheraus: »Halten Sie noch Seancen ab?«
    Sie sah mich eine Weile an, und ihr Blick schien mir abwesend. »Wo haben Sie von mir gehört?« fragte sie endlich.
    »Von einem Freund«, entgegnete ich, »der Sie zu kennen schien. Sein Name war Friedel Carhaun; ich lernte ihn während des Studiums kennen.«
    »Friedel«, murmelte sie. »Das ist lange her – ja, ich erinnere mich. Er war ein seltsamer Junge – kein Medium, aber voll von Kräften.«
    Ich berichtete ihr meine Erlebnisse mit Friedel, und sie lauschte beinahe andächtig. Ich erzählte ihr auch von den besonderen Umständen seines Todes. Sie schwieg eine lange Zeit, als ich geendet hatte.
    »Wir wollen eine Seance abhalten, für Sie und Friedel – morgen. Vielleicht wird er mit uns sein.« Sie lächelte mir zu.
    »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Herr Clement. Es nimmt ein wenig von meiner Resignation, in die mich die Sorge um das Haus gestürzt hat. Ich fühle fast den alten Tatendrang wieder. Und ich bin sicher, dass meine alten Freunde alle kommen werden, wenn ich sie zusammenrufe.
    Versprechen Sie mir, pünktlich hier zu sein. Um drei?«
    Ich versprach es. Ich war mehr als zufrieden, als ich das alte Haus verließ und blinzelnd in der Frühmittagssonne zur Busstation eilte. Eine Seance mit Klara Ferenczek – das würde eine interessante Sache werden. Eine verdammt interessante Sache …
     

     

Ich erschien kurz vor fünfzehn Uhr am nächsten Tag. Als ich die Stiegen hinaufschritt, hörte ich schon im Halbstock durch eine der Türen Stimmenlärm. Klara Ferenczek begrüßte mich erfreut, aber auch ein wenig nervös.
    »Sie sind alle gekommen«, erklärte sie. »Und Sie sind heute auch nicht der einzige Neue in unserem Bunde. Jemand brachte ein junges Mädchen mit. Sie ist neunzehn und studiert im ersten Semester Philosophie. Eine Ungarin.«
    »Eine Ungarin?« fragte ich interessiert.
    »Mehr oder weniger. Sie kam 1956 während der Ungarnkrise mit ihrer Mutter als kleines Kind über die Grenze.«
    »Ist es das Mädchen, das Sie so nervös macht?« fragte ich besorgt, denn ich wusste, dass ein nervöses Medium wenig leistungsfähig ist.
    Einen Augenblick schien es, als wäre sie verletzt von meiner direkten Frage, aber dann gestand sie: »Ja, Herr Clement. Das Mädchen regt mich auf. Sie ist nicht freiwillig hier. Der Herr, der sie mitbrachte, möchte auf diesem Weg etwas über ihre Vergangenheit erfahren. Er – er glaubt, eine gewisse Berechtigung zu haben, weil sein Sohn sich in das Mädchen verliebt hat und er als äußerst pedantischer Vater Einfluss auf den Umgang seines Sohnes haben möchte.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie gebärdet sich einigermaßen aufregend«, fuhr sie fort.
    »Sie hält das alles für Unsinn. Sie spottet und stichelt. Das ist natürlich ihr gutes Recht unter den gegebenen Umständen.
    Aber ich fürchte für die Sitzung, wenn sie so weitermacht. Sie wissen, dass Konzentration das wichtigste ist, und sicher wissen Sie auch, wie leicht man sie stören kann.« Sie zuckte hilflos die Achseln. »Ich weiß nicht recht, was ich mit ihr tun soll. Sie wegschicken wäre unhöflich – nicht nur ihr gegenüber. Es ist wahrscheinlich nur ihr ungarisches Temperament, aber …«
    »Lassen Sie mich mit ihr reden.«
    Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja, das ist ein
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