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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin
Autoren: Hugh Walker
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schließlich fand ich, wonach ich suchte: den Namen Klara Ferenczek. Sie wohnte im ersten Stock.
    Ich stieg die Treppen hinauf und suchte eine Weile vergeblich nach der Wohnung Frau Ferenczeks. Keine der Türen trug ein Namensschild. An keiner öffnete man mir auf mein Klopfen.
    Entmutigt überlegte ich, was ich nun unternehmen sollte. Dabei fiel mein Blick auf eine Tafel an der Korridorwand. Mezzanin.
    Natürlich! Die meisten alten Wiener Häuser besaßen einen Halbstock, ein Mezzanin. Ich musste also einen Stock höher.
    Oben angelangt, fand ich auch gleich ein Türschild mit dem Namen der Spiritistin.
    Auf mein Läuten öffnete eine ältere Dame. Sie war groß, vollschlank, grauhaarig. Ich schätzte sie auf fünfzig. Sie musterte mich forschend, und ich wurde ein wenig verlegen unter ihrem Blick. Ich hatte das absurde Gefühl, sie sähe in meinen Schädel hinein.
    »Frau Ferenczek?« fragte ich unsicher.
    »Madame Ferenczek«, berichtigte sie mich. »Kommen Sie vom Amt, oder wollen Sie mich konsultieren?«
    »Nein, nein, ich komme von keinem Amt«, beeilte ich mich zu versichern. »Es ist mein pures Interesse an spiritistischen Dingen, das mich zu Ihnen führt.«
    »Sie sind von einer Zeitung?« unterbrach sie mich.
    Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    »Na, dann herein, junger Mann. Sie müssen mir mehr über sich erzählen – und Sie haben Glück. Ich bin gerade beim Tee.
    Sie können ein Tässchen mittrinken, wenn Sie möchten …«
    Ich nahm dankend an. Sie führte mich in ein altmodisch wirkendes Wohnzimmer mit schweren, bis auf den Boden reichenden Vorhängen von dunklem Rot und Gold, die nicht nur die Fenster, sondern auch einen Großteil der Wände bedeckten. Der ganze Raum sah aus wie ein Schauraum in einem Antiquitätengeschäft, mit Porzellan- und vergoldeten Metallfiguren, mit Spiegeln in pompösen Rahmen, einem Teetisch von beinahe aufdringlichem Kitsch, einem Sofa, das seine Zeit bei weitem überdauert hatte.
    Und dennoch …
    Dennoch war das alles nicht ohne Stil. Es war etwas Magisches in der Art, wie es nach einigen Augenblicken vertraut schien. Eine Aura von Geheimnis lag über dem halbverdunkelten Raum.
    Die Frau plauderte freundlich und verstand es geschickt, meine Fragen nicht zu beantworten, ohne dass es mir auffiel.
    Erst als sie nach und nach erkannte, dass mich ehrliches Interesse am Spiritismus zu ihr getrieben hatte, wurde sie zugänglicher. Sie berichtete mir ein wenig von ihren früheren Seancen, von ihrem schlechten Ruf in der unmittelbaren Nachbarschaft und von ihren Sorgen mit dem Haus.
    »Sie wollen es abreißen«, meinte sie bitter, »weil es baufällig ist. Aber solange ich lebe, werde ich dagegen ankämpfen.
    Obwohl die Sache nicht übermäßig gut steht.«
    »Wie ist es mit den anderen Mietern?« warf ich ein.
    »Sind keine mehr im Haus. Sie wurden bereits vor einem Jahr umquartiert. Bei mir war das nicht so einfach, weil mir das Haus gehört. Ich werde erst im letzten Augenblick gehen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Der ganze Block hier gehört unter Denkmalschutz, aber nicht abgerissen. Es geht so viel verloren damit.«
    Stumm nickte ich.
    »Dieser Ort hat eine unglaubliche Ausstrahlung«, fuhr sie fort. »Hier sind mir Seancen gelungen, wie sie nur in wenigen Gegenden noch möglich sind. Es wäre jammerschade, diese alten Mauern abzureißen, die so viel Blut gesehen haben. In blutgetränktem Boden sind die Toten am ruhelosesten. Hier sind sie bereit, zu reden und zu schreien von der Qual, die sie erlitten haben.«
    Sie trat zum Fenster und zog den schweren Vorhang zur Seite.
    »Hier, sehen Sie …«
    Als ich neben ihr stand, deutete sie hinaus auf eine düstere Ansammlung ineinander verschachtelter, schmutzig-grauer Steinhäuser, die beinahe festungsartig hochragten. Etwas Abweisendes, Gespenstisches strömte davon aus, von diesen schmalen Höfen und Stiegen und schwarzen Fensteröffnungen und Falltüren. Nicht weit dahinter erhob sich der mächtige Bau des Stephansdomes gegen den Himmel.
    »Dieses Haus ist unsagbar alt«, sagte sie und deutete auf den wahrlich mittelalterlichen Häuserblock. »Es gibt Mauern, die sind bis zu zwei Meter dick, und in den Gewölben erstickt jeder Schrei ohne Echo. An den Wänden sind uralte Wappen, und an vielen Stellen ist der Stein dunkel von vergossenem Blut. Nur die wenigsten Räume sind betretbar. Zu vielen gibt es geheime Türen, die kaum noch jemand kennt. Seit Jahren brennt ein Ewiges Licht über einem Altar der
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