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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin
Autoren: Hugh Walker
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Geist?«
    »Ja.«
    »Bist du schon lange ein Geist?«
    »Fünfhundertzweiundzwanzig Jahre.«
    »Und davor?«
    »Laurenz Pichler.«
    »So hast du geheißen, bevor du gestorben bist?«
    »Ja.«
    »Was tun Geister den ganzen Tag, Bellamy?« Ein leichter Spott war wieder in ihrer Stimme. Sie schien plötzlich Spaß an der Sitzung zu haben.
    Bellamy kämpfte offensichtlich mit Schwierigkeiten bei dieser Fragestellung.
    Eine allgemeine Unruhe schien die Anwesenden zu erfassen.
    »Musst du armer Kerl immer kommen, wenn die dich hier rufen?« fuhr Ornella spöttisch mitleidig fort.
    Die Erscheinung geriet in konfuse Bewegung. Die Bewegung brachte einen Odem von Kälte in meine Richtung. Ornella schien ihn ebenfalls zu spüren, denn sie verstummte.
    Gleichzeitig kam ein Stöhnen vom Medium her.
    Jemand sagte scharf: »Hören Sie auf mit diesen albernen Fragen. Sie vergeuden nur die Kraft des Mediums.«
    Was natürlich stimmte. Aber Ornella dachte vermutlich, dass es in jedem Fall eine Vergeudung dieser Kraft war. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sicher, was ich vor mir hatte – einen raffiniert arrangierten Trick, oder einen Fall von Hypnose. Ein wenig unheimlich fand ich die Sache schon. Die beiden Kerzen gaben ein verhältnismäßig gutes Licht, und die irgendwie konturenlose Erscheinung in der Mitte des Kreises wirkte wie von sich aus lebendig.
    Fragen kamen mir plötzlich in den Sinn. Warum nicht aus dem Reservoir dieser düsteren Atmosphäre schöpfen, die nach Madame Ferenczeks Worten die alten Häuser in diesem Teil der Altstadt erfüllte? Sagte sie nicht, der blutgetränkte Stein wäre eine Art Ankerplatz für die Geister der Vergangenheit?
    »Mit Ihrer Erlaubnis, meine Herrschaften, darf ich ein paar Fragen stellen?«
    Sie nickten zustimmend.
    »Bellamy«, wandte ich mich an die Erscheinung, »kannst du in die Vergangenheit zurückgehen?«
    Nach einem Augenblick kam die Antwort: »Ja.«
    »Dann geh zurück bis zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts für den Anfang.«
    Diesmal dauerte es länger. Es geschah nichts optisch Erkennbares. Aber die Stimme sagte nach einer Weile: »Ich bin angekommen.«
    »Steht dieses Haus bereits?«
    »Nein.«
    Ich lehnte mich vor. »Aber das von nebenan, zwischen hier und dem Dom, das steht?«
    »Ja.«
    »Ist es bewohnt?«
    »Ja.«
    »Wer wohnt darin?«
    Wieder Schweigen. Ich sah, wie die anderen interessiert lauschten.
    Plötzlich sagte die Erscheinung: »Ich bin nicht allein …« Und wiederholte: »Ich bin nicht allein.« Und nach einer Pause. »Es ist stärker …«
    Dann kam ein lang gezogenes Stöhnen aus Madames Mund.
    Die Erscheinung begann zu schrumpfen und sich zurückzuziehen. Sie schwebte über Klara Ferenczeks Kopf und löste sich auf.
    Enttäuscht dachte ich, dass nun alles zu Ende sei, und fragte mich, was ich wirklich erwartet hatte.
    Plötzlich war eine andere Stimme im Raum. Eine weibliche.
    Sie lachte. Und wieder begann sich etwas zu formen, aus Madame Ferenczek herauszukriechen – ein weißer Schleier von Rauch. Der Herr neben Madame, der sich schon bereitgemacht hatte, sie aus der Trance zu wecken, sank in den Stuhl zurück. Der Schleier wogte in die Mitte des Kreises und nahm die Gestalt einer sitzenden Frau an. Sie war zu nebelhaft, um sie genau zu erkennen. Sie trug ein weißes Gewand und saß starr und reglos, mit geschlossenen Augen.
    Aus dem Mund des Mediums kamen plötzlich fürchterliche Schreie. Es war so entsetzlich, dass ich die unbeschreiblichen Qualen zu fühlen vermeinte, die die Ursache für diese Schreie sein mussten.
    Warum macht denn niemand ein Ende? dachte ich verzweifelt. Etwas Fremdes musste vom Medium Besitz ergriffen haben. Und diesmal schien es echt – kein Trick.
    Warum weckt sie niemand auf? Sie ist in Gefahr!
    Ich wollte aufspringen, aber ich war wie gelähmt.
    Den anderen schien es genauso zu gehen. Sie saßen starr und verkrampft auf ihren Stühlen, während Madame schreiend nach vorn kippte und sich wimmernd wand.
    Gleichzeitig geschah etwas, das mir die Haare buchstäblich in die Höhe stehen ließ.
    Das weiße Gewand der sitzenden Frau rötete sich wie unter einem steten Regen von Blut.
    Das Schreien und Wimmern nahm kein Ende. Es steigerte sich. Plötzlich öffnete die Sitzende ihre Augen. Ihre Hände glitten traumverloren über das Blut. Dann fiel ihr Blick auf Ornella. Die grausamen, geschwungenen Lippen lächelten.
    Sie streckte den Arm aus.
    Ich sah, wie Ornella sich erhob und die Maske vom Gesicht nahm. Ich wollte
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