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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt
Autoren: Annegret Heinold
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von vorne anzufangen, immer wieder neu das Verständnis zu wecken für Torga und Pessoa. Jorge ist ein großer Fernando Pessoa Fan. Und jedes Mal, wenn er es schafft, wieder jemanden von Pessoa zu überzeugen, dann ist das für ihn einfach etwas Wertvolles.
    „Wieso bist du eigentlich hier?“, frage ich.
    Jorge steht auf, geht zu seiner Tasche und nimmt eine Mappe raus. Dann kommt er zurück, setzt sich wieder auf die Couch und legt ein paar Papiere auf den Tisch.
    „Du wolltest doch die Scheidung“, sagt Jorge. „Hier sind die Papiere.“
    „Aber ...“, sage ich.
    „Wenn es zu Ende ist, sollte man es auch beenden“, sagt Jorge. „Ich habe viele Fehler gemacht, du willst die Scheidung. Ich verstehe das, also stimme ich zu und wir können beide mit unserem Leben weitermachen. Noch mal neu anfangen.“
    Ich nehme die Papiere und lese sie durch. Jorge sichert mir eine Unterstützung zu, ich werde nicht arbeiten müssen, er wird mir einfach für immer und ewig Unterhalt zahlen. Die Hälfte seines Einkommens.
    „Das ist ziemlich großzügig“, sage ich
    „Wieso großzügig“, sagt Jorge. „Das war der Deal, ich arbeite, du bleibst zu Hause und kümmerst dich um die Kinder. Ist doch klar, dass das weiter gilt“.
    „Aber die Kinder sind aus dem Haus“, sage ich.
    „Aber du hast doch wegen uns auf deine Karriere verzichtet“, sagt Jorge. „Was willst du denn jetzt noch anfangen zu arbeiten? Was könntest du denn überhaupt machen?“
    In der Tat – das ist eine gute Frage. Die ich mir ja jetzt auch seit Wochen stelle. Ohne eine Antwort darauf zu finden. Trotz Dauerlektüre von Cool Careers for Dummies . Das ist so ein Mist.
    „In deinem Alter nimmt dich doch keiner mehr“, sagt Jorge. Das ist nicht mal gemein gemeint, das ist einfach die Wahrheit.
    Das heißt, nicht ganz. Da gibt es den Job im Museum, das Angebot von Carl. Ich kann die historische Farm aufbauen. Ich freue mich auf den Job im Museum, den Aufbau, die Farm, das Café. Ich möchte gerne irgendetwas Nützliches machen. Etwas Sinnvolles. Ich merke, ich möchte gerne arbeiten. Obwohl ich ja jetzt nicht mehr muss, wenn ich Jorges Angebot annehme. Ist schon klasse von ihm das anzubieten. Und das auf eine so selbstverständliche Art. Echt großzügig. Mir fällt ein, dass Großzügigkeit ja eine der Haupteigenschaften ist, die ich von einem Partner erwarte. Das wurde mir damals in Campbell River zum ersten Mal so richtig klar, bei dieser Jeff-April-Präser-Geschichte.
    „Jasmin?“, sagt Jorge. „Wo bist du jetzt mit deinen Gedanken?“
    Na, das erkläre ich jetzt nicht, das ist zu kompliziert.
    „Es ist trotzdem großzügig“, sage ich. „Danke. Ehrlich, danke.“
    „Weißt du“, sagt Jorge. „Mein Vater war ein furchtbarer Knauser, der hat jeden Escudo aufgeschrieben, den er ausgegeben hat. Für den Haushalt, für meine Mutter, für mich.“
    Jorge steht auf und sieht aus dem Fenster. Auf den Fluss – heute schnell-fließend hellgrün, fast transparent. Auf Rugged Mountain und die jetzt nur noch wenig schneebedeckten Gipfel. Auf die Straße, wo jetzt schon wieder der Typ mit dem Kaffeebecher und dem Hund langgeht. Dieses Mal die Straße runter.
    „Nach seinem Tod habe ich Mutter geholfen, die Sachen zu sortieren, die Papiere durchzusehen, alles zu ordnen. Und weißt du, was ich gefunden habe? Ein Heft mit allen meinen Ausgaben. Also den Ausgaben von meinem Vater für mich. Da standen Sachen wie: Jorge 5. Mai 10 Escudos Schnürsenkel. Und da habe ich mir geschworen, dass ich nie so werden will.“
    Ich nicke.
    „Und ich bin doch immer großzügig gewesen“, sagt Jorge. „Oder, Jasmin? Oder?“
    „Absolut“, sage ich. „Das bist du wirklich immer gewesen.“
    Da fällt mir ganz spontan ganz viel ein. Jorges Art zu geben ist wunderbar. Jorge ist immer großzügig gewesen, was haben wir für gute Zeiten dadurch gehabt. Solche Großzügigkeit macht sich auch im Bett gut, übrigens, da fällt mir plötzlich so einiges ein, und ich hoffe, dass ich hier jetzt nicht rot werde. Jeez Louise. Nicht dran denken, Jasmin. Hier liegen die Scheidungspapiere, die Geschichte ist vorbei und alles, was fehlt, ist deine Unterschrift.
    „Kommst du eigentlich zur Hochzeit deines Sohnes?“, fragt Jorge.
    „Das ist unser Sohn“, sage ich, „Im Gegensatz zu anderen Kindern, die da draußen rumlaufen, ist Tiago unser gemeinsamer Sohn“.
    „Wow“, sagt Jorge. „Das hat gesessen. Voll getroffen.“
    „Dabei habe ich nicht mal gezielt“, sage
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