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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter
Autoren: Michael Cobley
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es ihr. Sie hörte die Gedankensprache.
    »Wer bist du?«, flüsterte sie.
    Ein Blatt im Wind, eine leere Höhle, ein vergessenes Lied, das bin ich. Du kannst mich die Blinde Rina nennen. Und jetzt, Kind, schau nach links.
    Nerek gehorchte und sah einen senkrechten Lichtstrahl, der sich verbreiterte, bis in seinem dämmrigen Schein eine kleine, undeutliche Gestalt sichtbar wurde, die schweigend winkte. Nereks erweiterte Sinne sagten ihr nicht viel über diese Person, aber wenigstens nahm sie keine bedrohliche Unterströmung war. Sie tastete sich durch die Hütte, während der halbgefrorene Schlamm unter ihren Füßen knisterte, und zwängte sich in einen langen, engen Spalt zwischen zwei Schuppen, der vor dem Schnee geschützt war. Vor ihr stand ein kleines Mädchen mit langem, verfilztem Haar, schmutziger Kleidung und einer ernsten Miene.
    Das Kind streckte die Hand aus. Unsicher ergriff Nerek sie, und sie schüttelten sich feierlich die Hände. »Irgendwie kommst du mir nicht blind vor«, meinte Nerek.
    Ihr Name ist Peki, und sie ist mein Augenlicht. Du kannst ihr vertrauen. Sie wird dich in Sicherheit bringen.
»Ich brauche ein Boot«, erklärte Nerek.
    Das kann arrangiert werden.
    Peki nickte einmal, legte einen Finger an die Lippen und huschte zu einem kleinen Durchgang. Nerek blieb ihr auf den Fersen.
    Sie folgten dunklen und verschlungenen Wegen, mussten sich manchmal hinhocken oder über freies Gelände rennen, und manchmal in den Schatten kriechend innehalten, wenn ihre beiden Verfolger näher kamen. Sie kletterten gerade über verrottenden Abfall einer halb verfallenen Sägemühle, als sich die Blinde Rina wieder meldete.
    Du kannst keine Macht mehr aus dem Brunn-Quell schöpfen, ist das richtig?
    Nerek wurde misstrauisch. »Zurzeit jedenfalls nicht.«
    Keine Angst, Kind, ich habe weder etwas Böses vor, noch will ich dich verraten. Letztlich kann man auch mit der Niederen Macht…
    »Ich weiß nichts von der Niederen Macht«, unterbrach Nerek sie leise.
    Hm. Es überrascht mich, dass Bardow dem noch nicht abgeholfen hat, nachdem, was du für ihn getan hast… Oh, was Peki in dieser Stadt für mich nicht sieht, erfahre ich gewöhnlich auf andere Weise…
    Schließlich brachte Peki Nerek zu einem breiten, stabil wirkenden Gebäude, das nur wenige Meter neben dem Fluss lag. Ein Dickicht aus alten Sparren, zerrissenen Segeln und dichten Büschen gewährte ihnen Deckung. Nerek hatte bereits bemerkt, dass der größte Teil des Schutts, der ihren Weg getarnt hatte, absichtlich so aufgebaut worden war, dass er den besten Schutz bot. Ein umgestürzter Wagen zum Beispiel verdeckte die Tür, durch welche sie das Gebäude betraten.
    Der dämmrige Flur dahinter, von dem Kontore, Lagerräume und Wohnräume abgingen, die allesamt verlassen waren, führte direkt zu einer Tür auf der anderen Seite. Auf halber Höhe blieb Peki stehen und lauschte an einem Tor, bevor sie es aufzog. Dahinter lag ein Steg, von dem aus man auf vier Stapellaufgerüste hinabsehen konnte, auf denen früher einmal die Boote gelegen hatten. Nerek folgte dem kleinen Mädchen eine Treppe hinunter, als die Blinde Rina wieder in ihren Gedanken sprach.
    Früher einmal hatten hier Flussjollen ihre Liegeplätze, die immer bereit waren zu helfen und Passagiere und Gefangene von den Schiffen ans Ufer transportierten. Sie haben sogar versucht, Leben zu retten. Jetzt gibt es hier nur noch den Verfall und den Gestank der Vernachlässigung. Aber es ist uns gelungen, einige Schätze zu retten.
    Peki war im Schatten zwischen dem Gang verschwunden, und als sie wieder auftauchte, zog sie etwas hinter sich her. Ein schmales, langes, offenes Kanu, auf dessen Boden ein Paddel lag.
    Jetzt
musst du eilen! Die Jäger kommen näher. Nimm das kleine Boot und laufe zum Ufer. Jetzt… Geh sofort!
Der drängende Ton in der Stimme der Blinden Rina riss Nerek aus ihrem Erstaunen, und sie hob das Kanu mit beiden Händen hoch. Sie sah gerade noch, wie Peki, die immer noch ernst und eindringlich schaute, ihr kurz zuwinkte, dann stürmte sie aus dem Bootshaus. Sie hörte Schreie vom Ufer, lief jedoch unbeirrt weiter.
    Ignoriere sie. Lass das Boot ins Wasser, steig ein und paddele los. Mach dir keine Sorgen, wenn du hörst, dass sie dir folgen. Konzentriere dich nur darauf, möglichst rasch vom Ufer wegzukommen.
    Nerek warf das Kanu ins Wasser und sprang mit einem Satz hinein. Dann paddelte sie mit zorniger Energie, während sie immer die Seite wechselte. Hinter ihr hörte sie
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