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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein
Autoren: Elizabeth George
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Ahnung, ob Jeremy Irons verheiratet war, aber er wurde fast wahnsinnig bei dem Gedanken, daß Mary Agnes nachts in ihrem Bett von dem Schauspieler träumte, während er selbst in seinem Zimmer nebenan sich nach einem Kuß von ihr verzehrte. Es war gemein. Es war unfair. Sollte sie ruhig dafür leiden.
    Aber als er das Zittern ihrer Lippen sah, ärgerte er sich über seine Dummheit. Sie würde ihn hassen, nicht Jeremy Irons, wenn er nicht vorsichtig war. Und das hätte er nicht ertragen können.
    »Ach was, ich weiß nicht genau, ob er verheiratet ist«, bekannte er.
    Mary Agnes hob die Nase in die Luft, sammelte ihr Geschirr ein und kehrte in die Küche zurück. Gowan folgte ihr wie ein treues Hündchen. Sie stellte die Kannen auf die Tabletts, gab Tee hinein, zog die Deckchen gerade, legte silberne Löffel auf und ignorierte Gowan demonstrativ. Tief zerknirscht überlegte Gowan, wie er ihre Gunst wiedergewinnen könne. Als sie sich vorbeugte, um Milch und Zucker aus dem Schrank zu nehmen, spannte sich das weiche Wollkleid über ihren vollen Brüsten.
    Gowan wurde der Mund trocken. »Hab ich dir erzählt, wie ich zur Grabinsel rübergerudert bin?«
    Sehr geistvoll war dieser Versuch, wieder anzubändeln, nicht. Die Grabinsel war ein baumbestandener Hügel im Loch Achiemore, etwa einen Kilometer vom Ufer entfernt. Von einem merkwürdigen Bauwerk gekrönt, das aus der Ferne aussah wie eine extravagante Ausgeburt viktorianischen Geschmacks. Sie war die letzte Ruhestätte Phillip Gerrards, des kürzlich verstorbenen Ehemanns der gegenwärtigen Eigentümerin von Westerbrae. Dorthin zu rudern, war gewiß keine sportliche Heldentat für einen Jungen wie Gowan, der harte körperliche Arbeit gewöhnt war. Und Mary Agnes, die wahrscheinlich auch mühelos eine solche Exkursion geschafft hätte, konnte man damit bestimmt nicht beeindrucken. Darum bemühte er sich, die Sache etwas interessanter zu gestalten.
    »Kennst du die Geschichte nicht, Mary?«
    Mary Agnes zuckte nur die Achseln, während sie die Teetassen auf die Untertassen stellte. Doch sie warf ihm immerhin einen kurzen Blick zu, und das war für Gowan Ermunterung genug, seinen Bericht weiter auszuschmücken.
    »Du hast's wohl noch gar nicht gehört? Dabei ist es im ganze!Dorf bekannt, daß Mrs. Gerrard bei Vollmond immer splitternackt an ihrem Schlafzimmerfenster steht und winkt, damit Mr. Phillip zu ihr zurückkommt.«
    Das fand nun doch Mary Agnes' Aufmerksamkeit. Sie legte ihre Arbeit nieder, lehnte sich an den Tisch und verschränkte die Arme, während sie auf die Fortsetzung der Geschichte wartete.
    »Ich glaub dir kein Wort«, warnte sie vorbeugend, doch ihr Ton sprach eine andere Sprache, und sie versuchte gar nicht ein spitzbübisches Lächeln zu unterdrücken.
    »Ich hab's auch nicht glauben wollen. Drum bin ich das letzte Mal bei Vollmond selber rausgerudert.« Gowan wartete gespannt auf ihre Reaktion. Das Lächeln wurde breiter. Die Augen blitzten. Ermutigt fuhr er zu sprechen fort. »Du hättest sie sehen sollen, Mary, wie sie da am Fenster stand. Ganz nackt, ehrlich, und mit ausgestreckten Armen. Und ich sag's dir, der Busen hing ihr bis auf den Bauch. Einfach schlimm!« Er schauderte theatralisch. »Kein Wunder, daß der alte Mister Phillip sich nicht von der Stelle rührt.«
    Gowan warf einen sehnsüchtigen Blick auf die wohlgerundete Mary Agnes. »Aber wenn eine Frau einen schönen Busen hat, weißt du, dann tut ein Mann einfach alles.«
    Mary Agnes ignorierte diese letzte, wenig subtile Anspielung und widmete sich wieder ihren Tabletts. Seinen aufregenden Bericht tat sie mit den ernüchternden Worten ab: »Mach dich lieber an deine Arbeit, Gowan. Solltest du heute morgen nicht nach dem Boiler sehen? Der hat gestern nacht wieder gekeucht wie meine Urgroßmutter.«
    Gowan war tief enttäuscht. Diese Geschichte von Mrs. Gerrard hätte doch Mary Agnes' Phantasie weit lebhafter anregen, sie vielleicht sogar zu der Bitte veranlassen müssen, das nächste Mal bei Vollmond mitkommen zu dürfen. Mit mutlos hängenden Schultern schlurfte er davon, um nach dem altersschwachen Boiler zu sehen.
    Als hätte Mary Agnes Mitleid mit ihm, sagte sie: »Aber selbst wenn Mrs. Gerrard es wirklich wollte, würde Mister Phillip nie zu ihr zurückkommen.«
    Gowan blieb stehen. »Warum nicht?«
    »Und ich wünsche nicht, in der verfluchten Erde von Westerbrae begraben zu werden«, zitierte Mary Agnes. »So steht es in Mister Phillips Testament. Mrs. Gerrard hat's mir selbst
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