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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein
Autoren: Elizabeth George
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gewarnt? Aber nein. Als er über die Mauer kletterte, sah ich sofort, daß es nicht Rhys war. Ich - ich kannte Rhys, sein Körper war mir vertraut. Und dieser Mann war zu massig. Ich denke, es waren Schreck und Entsetzen, die Erkenntnis dessen, was ich ihm angetan hatte, die Gewißheit, daß ich ihn verloren hatte, die mich aufschreien ließen.« Sie wandte sich wieder für einen Moment zum Fenster. Als sie zu sprechen fortfuhr, suchte ihr Blick wieder Lynley. »Auf Westerbrae sah ich mich als seine Retterin, die edle Jungfrau, die seinem Leben wieder Halt geben würde, nachdem er vorher allen Halt verloren hatte. Ich, bildete ich mir ein, würde der Grund dafür sein, daß er nie mehr trinken würde. Du siehst also, im Grund hattest du vollkommen recht. Es war wie bei Simon.«
    »Nein, Helen. Ich wußte ja überhaupt nicht, was ich redete. Ich war halb verrückt vor Eifersucht.«
    »Trotzdem hattest du recht.«
    Die Schatten im Foyer waren länger geworden, und noch während sie sprachen, kam der Barkeeper herein, schaltete die Lichter ein und öffnete die Bar am anderen Ende des Raumes für den Abend. Vom Empfang drang Stimmengewirr zu ihnen:
    Fragen nach Ansichtskarten, eine gutgelaunte Diskussion über die Ausflugspläne für den nächsten Tag. Lynley hörte zu und sehnte sich nach der wohltuenden Normalität eines Urlaubs mit einem Menschen, den er liebte.
    Helen trat vom Fenster weg. »Ich muß mich zum Abendessen umziehen.« Sie wandte sich zum Aufzug.
    »Warum bist du hierher gefahren?« fragte Lynley abrupt.
    Sie blieb stehen, sah ihn aber nicht an. »Ich wollte Skye im Winter sehen. Ich wollte spüren, wie es ist, hier ganz allein zu sein.«
    Er legte ihr die Hand auf den Arm. »Und hast du genug gesehen? Allein, meine ich.«
    Sie wußten beide, was er in Wirklichkeit fragte. Doch anstatt ihm zu antworten, ging sie zum Aufzug und drückte auf den Knopf, den Blick so starr auf die Kontrolleuchte gerichtet, als beobachte sie ein Phänomen von höchstem Interesse. Er folgte ihr.
    »Bitte«, sagte sie so leise, daß er sie kaum hören konnte.
    »Ich will dir und mir nicht noch mehr weh tun müssen.«
    Irgendwo über ihnen summte das Triebwerk des Aufzugs. Er wußte, daß sie zu ihrem Zimmer hinauffahren und ihn hier zurücklassen würde. Und er begriff, daß es nicht eine Trennung für nur wenige Minuten sein würde. Es würde eine Trennung von unbestimmter, endloser Dauer sein, nicht zu ertragen. Obwohl er wußte, daß der Zeitpunkt absolut falsch gewählt war, sprach er, weil er fürchtete, daß es eine andere Gelegenheit nicht geben würde.
    »Helen.« Als sie ihn anblickte, sah er, daß sie Tränen in den Augen hatte. »Heirate mich.«
    Sie lachte leise, nicht erheitert, sondern hoffnungslos. Statt etwas zu sagen, antwortete sie ihm mit einer kleinen Geste der Hilflosigkeit.
    »Du weißt, daß ich dich liebe«, sagte er. »Sag mir nicht, daß es zu spät ist.«
    Sie senkte den Kopf. Die Aufzugtür öffnete sich. Sie sprach die Worte aus, die er gefürchtet hatte. »Ich möchte dich eine Weile nicht sehen, Tommy.«
    Er konnte nur fragen: »Wie lange?«
    »Ein paar Monate. Vielleicht auch länger.«
    »Das ist wie ein Todesurteil.«
    »Das tut mir leid. Aber ich brauche Abstand.« Sie trat in den Aufzug. »Selbst nach allem, was geschehen ist, halte ich es kaum aus, dir weh tun zu müssen, Tommy. So war es immer schon.«
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Helen, ich liebe dich.«
    Er sah ihr flüchtiges süßes Lächeln, ehe die Aufzugtür sich schloß, dann war sie fort.

    Barbara Havers saß im King's Arms nicht weit von New Scotland Yard und starrte trübselig in ihr Bier. Es war spät, sie hätte längst auf dem Heimweg sein müssen, aber sie wollte jetzt nicht nach Hause. Die Berichte waren abgeschlossen, alle Formalitäten erledigt, die Gespräche mit Macaskin fürs erste beendet. Und wie immer, wenn ein Fall geklärt war, empfand sie nichts als Leere und Sinnlosigkeit. Die Menschen würden sich weiterhin gegenseitig quälen und umbringen, daran konnten ihre armseligen Bemühungen, es zu verhindern, nichts ändern.
    »Würden Sie einem netten Mann ein Bier spendieren?«
    Beim Klang von Lynleys Stimme blickte sie auf. »Ich dachte, Sie seien nach Skye gefahren. Mann, Sie sehen vielleicht fertig aus.«
    Das stimmte. Unrasiert, hohläugig, Hemd und Anzug zerknittert.
    »Ich bin auch fertig«, gestand er und versuchte ein Lächeln, das nicht gelang. »Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich die letzten Tage im
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