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0177 - Melinas Mordgespenster

0177 - Melinas Mordgespenster

Titel: 0177 - Melinas Mordgespenster
Autoren: Jason Dark
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seinen Körper im Zeitlupentempo. Seine Knie begannen zu zittern, in den Waden schienen Bleigewichte zu hängen, vom Kopf her breiteten sich die Stiche aus, erfaßten den gesamten Körper, und er merkte, daß es ihm nicht mehr möglich war, sich auf den Beinen zu halten.
    Er kippte nach vorn.
    Der Boden, blank gescheuerte Holzdielen, raste auf ihn zu. Der Aufprall.
    Wuchtig, hart. Zwei Zähne splitterten, Blut strömte aus seiner Nase, er stöhnte.
    Still blieb der Nachtwächter liegen. Er wünschte sich, bewußtlos zu werden, aber die Mütze hatte dem Schlag einiges von seiner ursprünglichen Wirkung genommen.
    Etwas polterte zu Boden, rollte und blieb dicht vor den Augen des Mannes liegen.
    Es war eine Eisenstange. Das konnte der Nachtwächter erkennen, weil sein Kopf auf der Seite lag.
    Dann hörte er Schritte.
    Sie entfernten sich nicht, sondern kamen auf ihn zu. Der Unbekannte hatte hinter der Tür, dicht an der Wand und damit im toten Winkel gelauert.
    Neben dem Niedergeschlagenen verstummten sie. Der Mann hörte heftiges Atmen und dann ein Kinderlied.
    »My Bonny is over the Ocean…«
    Ein Schauer erfaßte den Mann. Er wußte nicht, ob es nun von einer Männer-oder Frauenstimme gesungen wurde. Sein Gehirn war zu vernebelt, aber er hörte die Melodie, und irgendwie erweckte sie auch in ihm eine Erinnerung.
    Während er auf dem Boden lag, dachte er darüber nach. Was war das nur mit diesem Lied? Welche Bedeutung hatte es eigentlich gehabt? So sehr er auch grübelte, er kam nicht auf die Lösung. Und warum dachte er darüber nach? Das war doch Unsinn. Er hatte eigene Probleme, die sich kaum…
    Hände packten ihn an. Er spürte genau ihren Druck, denn sie waren sehr kräftig. Die Finger tasteten über seine Schultern und griffen auch unter seine Achseln.
    Sie hoben ihn hoch. Sein Oberkörper geriet in eine Schräglage, die Hacken seiner Schuhe schleiften über den Holzboden, als er fortgezerrt wurde.
    Wohin?
    Auf einmal schien dem Nachtwächter ein Eissplitter ins Herz zu fahren.
    Die Guillotine. Mein Gott, dieser Unbekannte schleifte ihn direkt auf die Guillotine zu.
    Wollte er tatsächlich…?
    Der alte Mann spürte sein Herz. Es pumpte, das Blut rauschte in seinem Kopf, förderte die Schmerzen und machte ihn einfach stumm. Er konnte nichts sagen, dabei hätte er um Hilfe schreien wollen, aus seiner Kehle drang kein Laut.
    Es gelang ihm auch nicht, klar zu sehen, vor seinen Augen verschwamm alles, zu groß war die Angst, die seine Nerven zu vibrierenden Saiten machten.
    »My Bonny is over the Ocean.«
    Zum zweitenmal vernahm der Nachtwächter das alte Lied. Aber da lag sein Kopf schon in der Mulde. Die Mütze war ihm abgefallen, und der Mann starrte aus hervorquellenden Augen in den Korb unter ihm, der die Köpfe der Delinquenten auffing.
    Jetzt hatte er keinen Zweifel mehr. Man wollte ihn vom Leben zum Tode befördern. Und dies auf eine grausame, schreckliche Art und Weise. Funktionierte sie noch?
    Er wußte es nicht, aber manche Leute im Ort behaupteten, daß diese Guillotine völlig in Ordnung war.
    Neben ihm bewegte sich etwas.
    Sein Henker!
    Das Lied war verstummt. Noch immer fühlte der Nachtwächter die Lähmung. Er wollte sich abstemmen, wegrollen, doch er besaß die Kraft nicht.
    Zu hart war der Schlag gewesen, der ihn auf eine gewisse Art und Weise paralysiert hatte.
    »Jetzt wirst du sterben!« hörte er die flüsternde Stimme. »Sie funktioniert…«
    Nein, nicht! wollte der Alte schreien. Bitte nicht! Es blieb beim Vorsatz.
    Wie zugeschnürt war die Kehle.
    »Sie ist blank, sehr blank«, hörte er die Stimme. »Wie früher. Genauso…«
    Und da wußte er plötzlich, wer sein Henker war. Seine Lippen formten den Namen, er wollte ihn aussprechen, hinausschreien, damit ihn jeder hörte, nicht einmal ein Stöhnen drang aus seinem Mund..
    Dann sauste die Klinge nach unten.
    Ein pfeifendes schleifendes Geräusch, ein dumpfer Schlag, der Kopf rollte in den Korb.
    »Der erste«, sagte die Stimme. »Der erste, und weitere werden folgen. Alle müssen sie dran glauben…alle, die damals…« Der Rest ging in einem unverständlichen Gemurmel unter.
    Schritte, die sich langsam entfernten. Und dann zum drittenmal das Lied.
    »My Bonny is over the Ocean…« Die Melodie verwehte - der unheimliche Mörder ging…
    ***
    Die frische Brise hatte den Dunst nicht vertrieben, sondern ihn nur verlagert. Wie eine dicke Schicht aus Watte lag er in den Tälern und würde erst gegen Morgen von den Sonnenstrahlen aufgelöst
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