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017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit
Autoren: Jo Zybell
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drehte sich um, bevor er die Haustür schloss. Auch in den Häusern auf der anderen Straßenseite brannte Licht hinter den Fenstern. In jedem Haus. Schlief denn noch niemand in dieser Nacht?
    Dann die Stimme seiner Frau: »Ja -Gott weiß es…ja, Gott kennt die Zukunft…« Sie telefonierte. Jagger sah sie an wie eine Fremde. War das seine Frau? Blass sah Ruth aus. Ringe lagen unter ihren Augen. Schweißnasse blonde Haarsträhnen klebten auf ihrer Stirn. Jagger hatte sie bisher nur selten das Wort »Gott« in den Mund nehmen hören.
    Den Aluminiumkoffer in der Hand blieb er an der Haustür stehen und sah sie an. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Sie wandte sich ab. »Dich auch, Francis, Gott segne dich auch…« Sie legte auf und wandte sich zu ihm um. »Wo warst du?«
    »Mit wem hast du telefoniert?« Jagger stellte den Koffer ab. Er spürte, wie seine Knie zitterten.
    »Mit Freunden.«
    »Mit was für Freunden?«
    »Mit guten.«
    »Ich kenne sie also nicht.«
    Ruth antwortete nicht. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn.
    »Ich kenne sie also nicht«, wiederholte er.
    »O Gott, Richie«, flüsterte sie. »Es ist vorbei. Ich glaub, es ist vorbei.« Sie löste sich von ihm und hob den Kopf. »In drei Monaten, sagen sie, ist es vorbei.« Ihre Augen waren die einer Fieberkranken. Und einer Fremden.
    »Unsinn, Ruth!« Seine Stimme vibrierte, und das erschreckte ihn. »In drei Monaten kann noch viel passieren.« Er küsste sie flüchtig auf die Stirn und ging zur Tür des Kinderzimmers seiner beiden Jüngsten.
    Mit einer Wahrscheinlichkeit von einundachtzig Prozent…
    Leise drückte er die Klinke hinunter. Linda schlief in ihrem Gitterbett. Wie ein kleiner Engel lag sie da, die Vierjährige. Wusste von nichts, ahnte nichts, schlief selig und tief. Jaggers Herz krampfte sich zusammen, während er ihr stupsnasiges Profil in den Kissen betrachtete.
    Er wandte sich dem Hochbett an der gegenüberliegenden Wand zu. Das Bett seines Zweitgeborenen. Percy. Der Siebenjährige stöhnte im Schlaf auf. Er träumte schlecht, wie so oft in letzter Zeit. Jagger nahm an, dass er die Anspannung mitbekam, unter der seine Mutter stand. Percy sah Ruth ähnlich - mit seinen blonden glatten Haaren, mit seinem feinen schmalen Gesicht. Er hatte sich frei- gestrampelt. Jagger deckte ihn zu. »Mein Söhnchen«, flüsterte er. »Mein kleines Söhnchen…« Eine Träne lief ihm über das Gesicht. Er spürte sie und erschrak. Was ist los mit dir…? Glaubst du jetzt auch schon an das Ende…?
    Auf Zehenspitzen verließ er das Zimmer.
    Leise schloss er die Tür. Ruth lehnte neben dem Telefontisch an der Wand, die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt.
    Wie ein Gespenst sah sie aus. Jagger lauschte an der Tür zum Zimmer seines Ältesten. Nichts zu hören. Vorsichtig drückte er die Klinke und spähte hinein. Ein regloser Schatten ragte aus dem Bett. Jagger knipste das Licht an. John saß auf seinem Kissen und starrte vor sich hin. Er hatte schwarze Locken und ein rundes weiches Gesicht. Genau wie sein Vater.
    »Johnny?«, flüsterte Jagger. Der Junge rührte sich nicht. Jagger ging zu ihm und setzte sich neben ihn aufs Bett. »Kannst du nicht schlafen, Johnny?«
    Der Neunjährige wandte ihm das Gesicht zu. Große Augen sahen ihn an. Braune Augen.
    Auch die hatte der Junge von ihm. Ruth, Linda und Percy hatten blaue Augen. Die Trauer im Blick seines Sohnes schnürte Jagger die Kehle zu. »Kommst du jetzt erst von der Arbeit?«, flüsterte John.
    »Wie kommst du denn darauf…?« Jagger versuchte zu lächeln. Er war sich unsicher, ob sein Sohn tatsächlich wach war oder nur in einer Art Wachtraum mit ihm sprach.
    »Warum schwindelst du? Du hast deinen Mantel noch an…und du riechst nach Benzin - und Ruß…«
    »Komm, leg dich hin und schlaf.« Jagger wollte ihn sanft in das Kissen hinunterdrücken.
    Der Junge wehrte seinen Arm ab. »Ich kann mir schon vorstellen, nicht mehr zur Schule zu müssen - aber werden wir noch Fußball spielen können? Wird es noch Straßen geben, auf denen wir hinauf nach Schottland in den Urlaub fahren können?«
    Ein stachliger Kloß schwoll in Jagger Hals. Er schluckte und schluckte wieder. Der Kloß wurde nur noch größer. »Was redest du da? Du träumst ja - komm, leg dich hin…«
    »Ich überleg mir die ganze Zeit, was ich mit den drei Monaten anfange«, unkte der Junge nachdenklich.
    »Wie? Ich verstehe nicht…« Jagger verstand genau.
    Johnny sah ihn überrascht an. »Wir haben nur noch drei
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