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0165 - Bis zum letzten Atemzug

0165 - Bis zum letzten Atemzug

Titel: 0165 - Bis zum letzten Atemzug
Autoren: Bis zum letzten Atemzug
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schwerer Kronleuchter mit einigen Zentnern Kristall hing von der Decke hsrab. Zwei lange und schwere Tische standen auf den dicken Teppichen. Ohrensessel gab es fast'ein Dutzend.
    »Wenn Sie sich vielleicht ein wenig gedulden wollen…«, erklärte ein mitgelaufener Diener und verbeugte sich.
    Ich nickte zu seinem nicht beendeten Satz und ließ mich in einen der Sessel fallen. Auf jeden Fall war dies ein Empfang, wie wir ihn nicht alle Tage bekamen. Phil schien sich für die Bücher zu interessieren, denn er ging langsam an den hohen Regalen entlang.
    Die Steckbriefgesichter waren in der Nähe der Tür geblieben, durch die man uns hereingeführt hatte. Ich musterte sie unauffällig aus den Augenwinkeln. Das Gesicht des Größeren kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich wusste im Augenblick nicht, wo ich es schon gesehen hatte. Vielleicht war es auch nur eine zufällige Ähnlichkeit mit irgendjemandem, den wir kannten.
    Phil zog ein Buch aus einem der Regale und rief mir zu: »Sieh dir das mal an! Eine Erstausgabe von Dickens!«
    Es war mir völlig neu, dass Phil literarische Liebhabereien hatte, aber ich tat ihm den Gefallen und schlenderte zum Fenster. Er hatte den alten, vergilbten Band aufgeschlagen und las halblaut eine besonders schöne Stelle. Jedenfalls musste man das seiner andächtigen Miene und den leise murmelnden Lippen entnehmen. Aber als ich nahe genug war, dass ich ihn verstehen konnte, hörte ich: »Blick mir über die Schulter und tu so, als würdest du die Zeilen mitlesen, die ich vorlese.«
    Gespannt, was er eigentlich wollte, folgte ich seiner Bitte. Er fuhr fort, mit sich kaum bewegenden Lippen, während ich den Kopf wie ein Lesender langsam nach rechts bewegte, um ihn in regelmäßigen Abständen schnell wieder nach links zu drehen.
    »Kennst du den Größeren?«, murmelte Phil.
    Ich hauchte ein kaum hörbares »No.«
    Monoton leierte Phil herunter: »Er heißt Bully Hynes. Erinnerst du dich nicht? Vor einem halben Jahr stand er unter Mordanklage. Erst in der zweiten Instanz wurde er wegen Mangels von Beweisen freigesprochen. Ich möchte wissen, was für eine dreckige Wäsche in diesem Haus gewaschen wird, wenn so ein Kerl wie Hynes dabei ist.«
    »Großartig!«, rief ich entzückt aus. »Ja, die Alten, die konnten noch schreiben, mein Lieber!«
    »Oder hier!«, sagte Phil laut, zeigte mit dem Finger auf eine Stelle und murmelte wieder: »Wir spielen das Theater weiter. Vielleicht kriegen wir etwas raus, was den zuständigen Staatsanwalt interessiert. Aber Vorsicht! Die legen uns glatt um, wenn sie herauskriegen, dass wir G-men sind.«
    »Ja, das ist wahr!«, rief ich begeistert. Dabei blickte ich ehrfürchtig auf die gelben, fleckigen Blätter, die den muffigen Geruch kalter Bücher ausströmten.
    Hynes und der Kleinere standen noch immer in der Nähe der Tür. Sie machten spöttische Gesichter. Offenbar hielten sie nicht viel von Leuten, die sich für Bücher begeistern konnten. Aber diese mangelnde Wertschätzung beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit.
    Während wir herumstanden und warteten, dass irgendwas geschah, öffnete sich plötzlich die Tür im Rücken der beiden Gorillas. Eine schlanke, brünette Frau in einem blauen Kleid und hochhackigen Schuhen trat ein. Sie würdigte die beiden Burschen an der Tür keines Blickes, kam auf uns zu und musterte uns mit eiskalten starren Augen. Ihre millimetergenau geschminkten Lippen öffneten sich zu einem spöttischen Lächeln, sie drehte sich ab und näherte sich der Seitentür, durch die der Diener gegangen war. Auf der Schwelle blieb sie noch einmal stehen, sah über die Schulter zu uns zurück und sagte: »Hoffentlich habt ihr wenigstens eine gute Lebensversicherung…«
    ***
    Die Tür schlug hinter ihr zu. Ich schüttelte mich. So etwa muss sich eine Maus fühlen, die von der Schlange angestarrt wird und weiß, dass sie gleich gefressen werden soll.
    »Wer war denn das?«, fragte Phil.
    Bully Hynes grinste breit.
    »Kümmert euch nicht drum, Jungs. Die spielt ab und zu ein bisschen verrückt.«
    »Wie heißt sie?«
    »Ann Mortue. Angeblich hat sie französische Vorfahren. Na, wenn alle Franzosen so verrückt sind wie die, dann möchte ich in einer französischen Gegend nicht begraben sein.«
    Phil sagte nichts dazu. Auch ich schwieg. Aber ich dachte noch immer über ihren letzten und einzigen Satz nach, den sie gesprochen hatte. Ob wir eine gute Lebensversicherung hätten? Was sollte das bedeuten? Wollte sie uns vor irgendeiner Gefahr warnen?
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