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0163 - Der Hexenhenker

0163 - Der Hexenhenker

Titel: 0163 - Der Hexenhenker
Autoren: Wilfried Antonius Hary
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ein Schatten, der vom Scheinwerferlicht kaum erhellt wurde. Jetzt trat er hinter dem Schild hervor und stellte sich an den Straßenrand, gerade als der Wagen vorbeifuhr. Für Sekundenbruchteile glaubte Lydia Manshold einen großen, breitschultrigen Mann im Kapuzenumhang zu sehen. In den mächtigen Fäusten hielt er ein Richterbeil.
    »Wie ein Henker!« entfuhr es ihr. Sie blinzelte verwirrt und spähte durch den Rückspiegel nach hinten. Nein, Lydia mußte sich geirrt haben. Da war überhaupt niemand, oder verbarg sich der Mann im Schattén der Nacht?
    »Ein Henker!« Lydia versuchte zu lachen. Es mißlang kläglich, denn ihrer Kehle entrang nur ein Stöhnen. Die Angst beherrschte sie und marterte sie wie nie zuvor in ihrem Leben. Am liebsten wäre sie umgekehrt, doch das ging nicht. Lydia fühlte sich wie unter einem Zwang. Sie fuhr weiter und drang tiefer in den Ort hinein.
    Bloodstone erschien wie ausgestorben. Kein Mensch zeigte sich auf der gepflasterten Straße.
    »Nicht einmal Asphalt scheinen die zu kennen«, murmelte Lydia verächtlich. Um ihre Mundwinkel zuckte es. Ihr Gesicht war ein bleicher Fleck im Dämmerlicht des Wagens. Die Straßenlaternen beleuchteten die Stadt nur unzulänglich.
    Die Straße mündete in eine Art Marktplatz. Inmitten stand ein trockengelegter Brunnen. Das Pflaster war holprig und ließ die Stoßdämpfer des Wagens ächzen.
    »Außer mir scheint hier kein Mensch einen Wagen zu besitzen«, sagte Lydia im Selbstgespräch. »Bin ich denn ins Mittelalter zurückversetzt?«
    HERBERGE. Das Schild hing windschief über einer Bohlentür. Lydia trat geistesgegenwärtig auf die Bremse und prakte ihren Wagen direkt daneben. Eine Einfahrt sah sie nicht. Also mußte sie das Auto auf der Straße lassen.
    Hoffentlich ist es morgen früh noch da, überlegte sie. Vielleicht haben die Autobesitzer einen driftigen Grund, ihre Fahrzeuge zu verstecken?
    Lydia stieg aus und schloß sorgfältig ab. Dann schritt sie auf die Bohlentür zu. Lauschend blieb sie stehen. Kein Geräusch drang an ihr Ohr. Nur in der Feme schrie ein Käuzchen. Ein schauriger Laut, der über die spitzen Dächer herüberhallte.
    Entschlossen drückte Lydia gegen die Tür. Sie öffnete sich knarrend. Stickige Luft schlug dem Mädchen entgegen. Sie befürchtete schon, die Schankstube wäre voll von unverschämt dreinblickenden Männern, die in dem einsamen Mädchen eine willkommene Beute sahen, aber dem war nicht so. Die Schankstube war leer bis auf die Wirtin.
    Die Wirtin rieb ihre Hände an der speckigen Schürze und watschelte geschäftig näher.
    »Oh, eine Fremde, wie ich sehe. Was führt dich zu uns, schönes Kind?«
    Irgendwie erinnerte sich Lydia ausgerechnet jetzt an die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel. Sie schluckte dreimal, ehe sie ein Wort hervorbrachte:
    »Ich wollte ein Zimmèr für die Nacht.«
    In den Augen der Dicken irrlichterte es. »Damit kann ich dir dienen, mein schönes Kind. Ich gebe dir mein bestes Zimmer oben im dritten Stock. Darin würde ich selber wohnen, hätte ich nicht meine eigene Wohnung.«
    Etwas fiel Lydia auf: der Dialekt der Wirtin klang fremdartig und - äußerst altmodisch.
    Die Frau lachte, als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht. Als sie in das ernste Gesicht des späten Gastes blickte, verging ihr das Lachen.
    »Haben Sie noch Gepäck, mein Kind?«
    »Ja«, antwortete Lydia zögernd, »draußen im Wagen.«
    Die Dicke wollte sich an ihr vorbeischieben. »Einen eigenen Wagen hast du? Alle Achtung. Scheinst aus wohlhabender Familie zu stammen. Da brauche ich keine Angst zu haben, daß du die Zeche bezahlst, stimmt es?«
    Lydia winkte mit beiden Händen ab. »Lassen Sie nur, Frau Wirtin, ich habe nur eine Reisetasche dabei. Die schaffe ich auch allein.«
    Die Dicke musterte sie von Kopf bis Fuß.
    »Du bist reichlich dünn. Es wird dich sehr anstrengen.«
    Lydia ging überhaupt nicht darauf ein, wandte sich ab und verließ die Schenke wieder.
    Ihr Ziel war das Auto. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Lydia traute ihren Augen nicht: Das Auto war spurlos verschwunden, der Platz, an dem sie es geparkt hatte, leer. Dabei hatte sie höchstens zwei Minuten den Rücken gekehrt. Außerdem hatte Lydia überhaupt nichts gehört. War das Auto einfach weggeschoben worden? Dann konnte es nicht weit sein.
    Lydia begann zu laufen. Sie erreichte eine Querstraße. Nichts. Wieder zurück. Lydia kam an der Herberge vorbei und wurde von der Dicken aufgehalten.
    »He, warum so aufgeregt?«
    »Mein
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