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0163 - Der Hexenhenker

0163 - Der Hexenhenker

Titel: 0163 - Der Hexenhenker
Autoren: Wilfried Antonius Hary
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kalt.
    Lydia öffnete den schweren Schrank. Ein langes Nachthemd hing darin.
    Seltsam, dachte sie. Alles sieht so aus, als hätte man regelrecht auf mich gewartet.
    Die Wirtin kam ihr in den Sinn. Immer wieder hatte die dicke Frau »mein Kind« zu ihr gesagt. Konnte es sein, daß… Nun, nichts war unmöglich. Vielleicht hätte die Frau ihre Tochter verloren und lebte in dem Wahn, sie müßte jederzeit zurückkommen. War sie in Lydias Alter?
    Entschlossen holte Lydia das Nachthemd aus dem Schrank. Es war sauber, und das war ja wohl die Hauptsache. Außerdem paßte es. Lydia streifte es sich über und kroch unter die Federdecke. Eine Weile blieb sie auf dem Rücken liegen und starrte zur Decke. Sie dachte an James Withe. Irgendwie spielte auch dieses Problem keine Rolle mehr für sie. Eigentlich hatte sie mit ihm ein ernstes Wort reden wollen. War doch keine Art, einfach von der Uni zu verschwinden und irgendwo unterzutauchen. Nicht einmal sein Vater wußte, wo James zu finden war.
    Ja, sie dachte daran, doch die Gedanken versickerten im Nichts. Lydia fühlte sich warm und geborgen. Als hätte sie nach langen Irrwegen endlich ihr Zuhause gefunden.
    Lächelnd blies sie die Kerze aus. Sofort wurde es dunkel. Aber diese Dunkelheit schreckte sie nicht. Sie starrte Löcher hinein und gab sich der Müdigkeit hin.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Lydia Manshold schreckte auf. Vor der Tür. Jemand schlich dort herum.
    Das Mädchen begann zu zittern. Das Gefühl von Geborgenheit war wie weggeblasen. Sie erinnerte sich an die Gestalt des Henkers und war gar nicht mehr so überzeugt davon, einem Trugbild aufgesessen zu sein. Er war Wirklichkeit - genauso Wirklichkeit wie diese unheimlichen Geräusche.
    Stimmen mischten sich hinein. Es wurde getuschelt. Das waren eindeutig Männer, und es hatte den Anschein, als würden sie jemanden suchen.
    Lydias geweitete Augen richteten sich auf den schmalen, flackernden Lichtstreifen unter der Tür.
    Und dann wurde diese Tür aufgeschoben. Zwei dunkle, vierschrötige Gestalten standen darin. Einer hielt die Lampe, und da das Licht von unten auf ihre Gesichter schien, wirkten sie dämonisch.
    »Das ist die Hexe!« knurrte der mit der Lampe und deutete auf Lydia.
    Das Mädchen war stocksteif vor Entsetzen und wagte sich nicht zu rühren.
    Bis jetzt hatten sich die beiden Männer leise verhalten. Sie sprachen auch nur im Flüsterton.
    »Mach keine Schwierigkeiten, Kleine, sonst geht es dir schlecht. Wir sind auch schon mit Wildkatzen fertiggeworden.«
    Was wollten die beiden überhaupt von ihr?
    Sie betrachtete sie genauer. Beide trugen das Gewand des Henkers. Es fehlten nur die Kapuzen.
    Die Henkersknechte!
    »Nein!« stöhnte Lydia. Und dann kamen die beiden ungehobelten Typen näher.
    »Doch«, knurrte der mit der Lampe. »Es wird sich nicht vermeiden lassen. Es ist unsere Arbeit, Hexe. Du wirst alles bitter bereuen müssen, was du getan hast.«
    »Aber was…?«
    »Still jetzt!« Sie packten sie und zerrten sie aus dem Bett. Lydia wußte, daß sie keine Chance hatte. Dennoch setzte sie sich verzweifelt zur Wehr.
    Und sie machte einer Wildkatze ebenfalls alle Ehre.
    ***
    Nach dem Gespräch zwischen Mrs. Coldwater und Professor Zamorra und nach seinen vergeblichen Versuchen, Lydia Manshold zu erreichen, ging James Withe auf sein Zimmer und legte sich auf das Bett. Nur die Schuhe hatte er ausgezogen. Er verschränkte die Hände im Nacken und betrachtete im fahlen Schein der Straßenlaternen die Decke. Über alles dachte er nach, auch über seinen mörderischen Fenstersturz, den er ohne jeglichen Kratzer überlebt hatte.
    Die gute Mrs. Coldwater.. Irgendwie tat sie ihm leid. Aber da war dieser Professor Zamorra und auch Lydia. Sie hatte ihn verlassen und sollte dafür büßen. Obwohl, ging es nicht zu weit, wenn sie durch die Hand des Henkers sterben sollte?
    Er preßte die Hände gegen das Gesicht. Es fühlte sich glühendheiß an.
    Ja, es ging zu weit. Das hatte Lydia, dieses lebenslustige Mädchen, nicht verdient - trotz ihrer Fehler. Aber wie konnte man es rückgängig machen?
    Unten in der Schenke war James Withe noch völlig auf der Seite des Bösen gewesen. Jetzt plagten ihn Gewissensbisse. Er war ein normaler Mensch, trotz der Kräfte, die angeblich in ihm wohnten. Niemals hatte er mit dem Bösen einen Pakt schließen wollen. Alles geschah letztlich gegen seinen Willen.
    Wie konnte er es ändern?
    Indem er zu diesem Professor Zamorra hielt?
    Ganz bestimmt nicht! Das redete er sich
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