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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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Schlussakkorden der Trauermusik wartete Idusch, bis sich die Kapelle geleert hatte. Erst dann trat er hinaus in den Regen und folgte dem Trauerzug zur endgültigen Erdbestattung.
    Still und ins Schicksal ergeben schritten als erste Veits Eltern hinter dem Sarg her. Die Mutter weinte, der Vater versuchte sie zu trösten. Das schwarze Band der Trauernden wand sich zwischen Gräberreihen hindurch und bildete dann einen Kreis um die ausgehobene Grube, die die sterblichen Reste des Unglücklichen aufnehmen sollte.
    Idusch hatte Anna Dori schon von weitem bemerkt. Ganz in schwarzes Leder gekleidet, stand sie in einiger Entfernung von dem frischen Grab unter einer riesigen Platane und sah mit bewegungslosem, bleichem Gesicht zu dem Sarg hin. Wie ein rächender Engel auf altmeisterlichen Bildern kam sie Idusch vor. Aufrecht stand sie da, ohne Schuldbewusstsein.
    Das Zeremoniell der letzten Minuten rollte stumm ab. Dann
    leerte sich langsam die Stätte. Nur zwei Menschen suchten keinen Schutz vor dem losprasselnden Regen: der Professor und Anna Dori.
    Aus dreißig Meter Abstand sahen sie sich in die Augen. Schließlich schritt Anna mit festem Schritt auf das Grab zu und warf eine Handvoll Blumen auf ihren einstigen Geliebten. Eine letzte Blüte flatterte herab.
    Anna richtete sich auf, und laut hallte es über die Stätte: »Ave atque vale, Veit! Sei gegrüßt und lebe wohl!«
    Idusch schauderte. Die Worte kamen ihm wie nackter Hohn vor. Er rührte sich nicht vom Fleck, wartete, bis Anna Dori zwischen den Gräbern verschwand, ehe er ihr folgte.
    Wie ziellos ging Anna durch die ausgedehnten Anlagen des Friedhofs. Eine Zeitlang verharrte sie am Ufer des künstlichen Teiches voller Seerosen, dann beschleunigte sie ihren Schritt und verließ die Totenstätte durch das schmiedeeiserne Tor auf der stadtabgewandten Seite. Sie überquerte den Parkplatz und betrat einen ländlich wirkenden Gasthof.
    Als Idusch eintrat, saß sie bereits an einem Tisch am Fenster und bestellte Kaffee.
    Der Professor trat zu ihr.
    »Darf man?« fragte er.
    Anna sah hoch. »Ich habe hier nichts zu verbieten.«
    Idusch setzte sich ihr gegenüber.
    »Mir auch Kaffee!« rief er zur Bedienung hinüber.
    Er stopfte seine Pfeife und steckte sie an. Der Regen trommelte gegen das Fenster. Beide schwiegen. Der Kaffee wurde serviert. Sie schenkten sich ein, tranken.
    Anna Dori setzte die Tasse klirrend ab. Ihr umflorter Blick streifte das Gesicht des Professors.
    »Zufrieden?« fragte sie tonlos.
    »Wie sollte ich zufrieden sein?« stellte Idusch verärgert seine Gegenfrage.
    »Nun«, sagte Anna gedehnt, »Sie haben Veit Kloss dahin getrieben, wo Sie ihn haben wollten: in den Tod.«
    »Ich?« Idusch lachte wider Willen. »Ihren traurigen Mut möchte ich haben.«
    Anna Dori schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Mut mehr. Ich bin müde.« Sie trank einen Schluck. »Darf eine Hexe Ihnen einmal einen Tip geben?«
    »Bitte.«
    »Durch Dirk Lodders weiß ich von Ihren Mitteilungen an Veit. Ich meine über meine Abstammung.«
    »Stimmen meine Überlegungen etwa nicht?«
    »Doch. Aber was beweisen sie?«
    Annas gelbe Augen fixierten ihr Gegenüber.
    »..Sie erklären vieles.«
    »..Sie glauben also an die Bande zur Vergangenheit?« fragte Anna suggestiv.
    »Ja – durchaus. Wir alle tragen viele vererbte Eigenheiten unserer Ahnen mit uns herum. Das ist so, ob wir es wollen oder nicht.«
    Anna lächelte. »Interessant. Das trifft auch auf Sie zu?«
    »In Grenzen – bestimmt.«
    Anna zog den Reißverschluss ihrer engen Lederjacke auf und griff in die Innentasche. Sie holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus, und breitete es aus und sah Idusch an.
    »Wie hieß doch der Ankläger im Prozess gegen die Anna
    Göldi – damals in der Schweiz?«
    »Tschudi. Wieso?«
    Anna hielt ihm das Blatt Papier hin. Nur wenige Worte waren mit schwarzem Filzstift darauf geschrieben.
    Tschudi – Theo Idusch – T. Idusch -Idusch T. – umgedreht: Tschudi
    Annas Stimme triefte vor Hohn. »War Ihnen das bekannt, Professor Idusch-Tschudi? Wollten Sie mal wieder – wie Ihre Vorfahren – ein wenig Hexenprozess spielen?«
    Völlig verstört hielt Idusch das Blatt Papier in seinen zitternden Händen.
    »Das ist – mir – neu«, stammelte er.
    »Ich schwöre es Ihnen.«
    »Schwören Sie lieber nicht. Stammen Ihre Ahnen aus der Schweiz?«
    »Ja.«
    »Diese Nacht kam mir die Idee. Eine innere Stimme trieb mich zu der Kombination.« Ihre Augen sprühten Hass. »Ein Opfer genügt den
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