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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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ragenden Nagel. Seine Hände legten die Schlinge um seinen Hals und das andere Ende des Gürtels um den Nagel. Dann sank er in die Knie.
    Er spürte die grässliche Strangulation. Langsam schwanden ihm die Sinne.
    Noch einmal bäumte sich sein verlöschender Lebenswille auf. Veit versuchte auf die Beine zu kommen, kämpfte mit der brutalen Kraft, die seine Schultern nach unten drückte, resignierte dann aber.
    Kaleidoskopartig zog noch einmal sein Leben an ihm vorbei, die Stationen des Leids und der Freude.
    »Anna«, röchelte er. »Ich sterbe vor dir.«
    Und er ahnte ihr baldiges Sterben.
    Wie von Geisterhand bewegt, ruckte der Riemen an, straffte sich und tötete den letzten schwachen Lebensfunken in Veits Körper.
    Der Kopf des Opfers sackte nach unten, unter dem Leib glitten im Todeskampf die Beine hervor, und die Arme breiteten sich aus.
    Der geschändete Körper glich einem Kreuz.
    So fand Professor Idusch den Toten.
     

                                                         
    Der Staatsanwalt Dr. Fred Moser führte den Vorsitz. Die Versammlung der Frauen und Männer hatte keinen offiziellen Charakter; das betonte Moser ausdrücklich.
    »Wir haben uns zu dieser Sitzung aber entschlossen«, sagte er zum Schluss seines Einführungsreferats, »weil eine Reihe rätselhafter Vorkommnisse bei den Betroffenen und Beteiligten Verwirrung gestiftet haben.« An dieser Stelle lächelte er süffisant. »Ich persönlich glaube an eine Kette von Unglücksfällen und Geschehnissen aus den Grenzbereichen unserer heutigen Wissenschaft.«
    Er zählte alle Todesfälle und ihre Umstände auf, kam auf die Fledermäuse, das entartete Kind, die Wachspuppe und die
    äußerlichen Veränderungen der Anna Dori zu sprechen.
    »Kein Gericht der zivilisierten Welt wird diese Person vor die Schranken eines Gesetzes stellen, ohne nicht dem Spott aller anheim zu fallen. Ja, wer sie auch nur verdächtigt, macht sich
    strafbar. Sie könnte gegen diejenigen mit Erfolg gerichtliche Schritte einleiten.«
    Idusch folgte den Ausführungen mit skeptischem Gesicht. In der folgenden Diskussion meldete er sich zum Erstaunen aller nicht einmal zu Wort. Er hielt es für zwecklos. Er musste allein einen Ausweg finden. Scheinbar teilnahmslos hörte er sich die klugen und überheblichen Fachleute an, die für alles eine Erklärung parat hatten und durchblicken ließen, dass sie ihn für einen Wirrkopf hielten. Biologen, Psychiater, Ärzte, Juristen, Gynäkologen, Fachleute für Parapsychologie, Ethnologen, Theologen und Anthropologen diskutierten zwei Tage lang die merkwürdigen Begebenheiten; den letzten Tag schon ohne Idusch.
    Der Professor saß, ganz in sein Unglück versponnen, bei sich zu Hause oder in der Klinik. Sein Kind wuchs rapide, weit über jedes medizinisch erklärbare Maß hinaus.
    Anna Dori hatte er nur gesehen, als er mit mehreren Polizeibeamten in ihrer Wohnung war, um Papiere von Veit Kloss zu holen.
    Das Mädchen hatte einen gefassten Eindruck gemacht. Sie hatte nicht geweint, sich nicht dramatisch gebärdet und auf die Fragen der Beamten völlig normal reagiert.
    Sie selbst hatte nur eine Frage gestellt: »Wann wird er beerdigt?«
     

     
    Und heute war die Beerdigung.
    Auf Wunsch seiner Eltern wurde Veit auf dem Ostfriedhof beigesetzt.
    Es war ein regnerischer Tag. Gegen zehn Uhr trafen die ersten Trauergäste ein, darunter viele Kommilitonen. Kurz vor halb elf füllte sich die Kapelle. Professor Idusch saß auf der zweiten Bank hinter den untröstlichen Eltern. Anna Dori hatte er nicht bemerkt.
    Der Geistliche vermied bei seinen Trostworten jeden Hinweis auf die mysteriösen Einzelheiten, die zu Veits Tod geführt hatten. Ja, indirekt verurteilte er die Spekulationen einzelner, wie er sagte, die »in Glaubensdingen ins finsterste Mittelalter zurückgefallen seien.«
    Düster sah Idusch auf den blumenübersäten Sarg, der den Leichnam des begabten Studenten barg. Wut packte ihn bei dem Gedanken an das Gefasel der gelehrten Männer und Frauen, deren geschulter Geist jede übersinnliche Macht leugnete. Was sie nicht selbst erfahren hatten, das gab es einfach nicht.
    »Leiden sind Lehren«, murmelte Idusch die Worte des Äsop nach. Ja, aus seinem Leid und dem anderer hatte er für sich eine Lehre gezogen: allein zu handeln.
    Idusch blickte kurz hoch, als ein Freund des Toten etwas von Überarbeitung, Verantwortung und Pflicht sagte.
    »Narr«, grollte Idusch leise.
     

     
     
    Nach den
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