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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal
Autoren: Jens Lindberg
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möglich, dass die Dori einmal in ihrer Jugend von dem Schicksal ihrer Vorfahrin hörte. Darüber entsetzt, verdrängte sie ihr Wissen. Aber im Unterbewusstsein schwelte der Hass auf die Verderber in Anna Göldi. Dieser Hass übertrug sich allmählich auf die Allgemeinheit. Und schließlich entwickelte sie Fähigkeiten, ihrem Wunschdenken Ausdruck zu verleihen.« Idusch hob die Schultern. »Es bedurfte nur eines äußeren Anstoßes, um den Hass auflodern zu lassen. Ein solcher Anstoß war mein Seminar. Als wir über die Göldi sprachen, wurde die verdrängte Vergangenheit lebendig. Aus dem lieben Mädchen Anna Dori wurde die rachsüchtige Hexe Anna Dori.« Der Professor seufzte. »Nur wir, Kloss – und das ist unser Problem Nummer eins – wissen es. Aber wer wird es uns glauben?«
    »Niemand.«
    »Sie sagen es. Ich würde mir mehr Gedanken um ihre Beseitigung machen – das dürfen Sie mir glauben – wenn nicht Ihr Tod unausweichlich damit verbunden wäre. Ach, Kloss, welch schrecklicher Irrgarten!«
    Idusch schlug die Hände vor Gesicht.
    »Wie trägt es Ihre Frau?« fragte Veit.
    »Sie wird das Entsetzliche nicht überleben. Kloss, Sie ahnen nicht, wie sehr wir uns auf ein Kind freuten. Erst langwierige Eingriffe und Behandlungen machten es möglich, dass meine Frau ein Kind gebar. Dabei weiß sie den vollen Umfang des Entsetzlichen noch nicht einmal. Sie hat das Kind – ihr Kind – nur flüchtig gesehen. Die Ärzte behaupten ihr gegenüber, sie müssten das Kind wegen einer ansteckenden Krankheit isolieren. Aber meine Frau ist hellhörig geworden. Sie besteht auf dem Recht, ihr Kind zu sehen. Ach, ich mag an diesen Moment nicht denken! Ich fürchte, sie stirbt. Ein neues Opfer dieser verdammten, unglückseligen Hexe!«
    Veit zog ein Päckchen Zigaretten hervor. »Darf ich?«
    »Sicher.«
    Veit steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und suchte in der Tasche nach Streichhölzern. Plötzlich erstarrte er mitten in der Bewegung und erbleichte.
    »Was haben Sie?« fragte Idusch.
    Langsam zog Veit die Hand hervor. Sie hielt eine wohl zwanzig Zentimeter lange Wachspuppe umklammert, ein kreideweißes Gebilde ohne Haare, Augen und Mund; und dort, wo das Herz sitzen sollte, ragte ein Nagel aus dem Körper.
    »Was ist das?« stammelte Veit und warf die Puppe angeekelt auf den Boden.
    »Sie war vorhin nicht in Ihrer Tasche?« fragte Idusch und kniete sich auf den Boden.
    »Das schwöre ich Ihnen!« Veit gab sich Mühe, die Puppe nicht anzusehen. »Während ich schlief, muss sie mir jemand in die Tasche gesteckt haben.«
    »Oder …«
    »Oder was?«
    »Oder hineingezaubert haben«, erklärte Idusch.
    Er schnippte die Puppe mit den Fingerspitzen über den Fußboden.
    »Wissen Sie nicht, was sie bedeutet?« fragte er Veit.
    »Nein.«
    »Solche Puppen spielen bei den Schwarzen Messen eine große Rolle. Wer sie findet, der muss sterben, Kloss. Bisher hielt ich das alles für wahnwitzigen Aberglauben.« Idusch stand auf und beförderte die Puppe mit einem Fußtritt unter den Küchenschrank. »Im frühen Mittelalter – so steht es wenigstens in den Chroniken – trugen Hexen diese Puppen bei sich. Sie gaben ihnen den Namen der Person, die sie verwünschten, und sprachen ihre tödlichen Hexenflüche zu den Puppen. Und der Todesfluch übertrug sich dann auf das lebendige Opfer. Haben Sie so ein Ding mal bei Anna Dori gesehen?«
    »Nie!«
    »Ist die Dori in der Wohnung?« fragte Idusch.
    »Ich weiß nichts von ihr. Ich will nichts mehr von ihr wissen und hören!«
    Nur mühsam presste er die Worte hervor. Seine Blicke hingen an der Stelle, wo die Puppe eben noch gelegen hatte.
    »Ich gehe zu ihr«, sagte Idusch. »Einmal muss sie die Wahrheit erfahren. Vielleicht ist sie einsichtig. Solange sie normal war, erschien sie mir stets besonders liebenswert. Oder irre ich da?«
    »Nein. Das war sie. Immer. Bis …«
    »Sie wollen nicht mitkommen, Kloss? Bedenken Sie, das Mädchen liebt Sie!«
    »Sie sprechen von Liebe?« Veit lachte voll Hohn. »Sie kennt nicht einmal den Begriff. Nein, ich warte hier. Wenn es Ihnen recht ist.«
    Der Professor nickte. Veit sah, wie er in den Flur ging, seinen Mantel vom Haken nahm und das Haus verließ. Er hockte sich im Wohnzimmer in den Ohrensessel und dachte mit Grausen an die Zukunft.
    Professor Idusch hörte Schritte, dann öffnete sich die Tür. Anna sah ihn nicht erfreut an.
    »Sie? Jetzt?«
    Sie machte keine Anstalten, den Professor in die Wohnung zu lassen.
    »Dürfte ich wohl
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