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0128 - Der Seelenwald

0128 - Der Seelenwald

Titel: 0128 - Der Seelenwald
Autoren: Martin Eisele
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Messerstoß entging ich so.
    Glenda schrie kreischend. Sie war völlig außer sich. Die Wucht ihres Angriffs riß sie vorwärts, in Sukos Wohnung hinein. Sie taumelte. Aber das Messer hielt sie noch immer in der Hand.
    Jetzt riß sie sich förmlich herum.
    Ich aber machte der Sache ein Ende!
    Noch bevor Suko oder Shao reagieren konnten, warf ich mich vor, packte Glendas Handgelenk.
    »Glenda!« brüllte ich verzweifelt.
    Himmel, sie mußte uns doch erkennen!
    Ein Ruck durchlief sie. Plötzlich entspannte sich ihr Körper, der Dolch polterte zu Boden.
    Suko hob ihn blitzschnell auf.
    »Glenda, was ist los? Wo kommen Sie her?« Ich riß sie zu mir heran.
    Sie sagte nichts. Lächelnd und abwesend sah sie mich an. Ihre Pupillen waren unnatürlich geweitet. Das Weiß in ihren Augen leuchtete gespenstisch.
    »Glenda!« Diesmal sprach ich ihren Namen ganz sanft aus.
    Sie schluchzte auf und warf sich an meine Brust. Ihre Arme schlangen sich um meinen Nacken. Ich spürte ihren bebenden, zuckenden Körper.
    »John!« wimmerte sie. »John!«
    »Ich bin doch hier«, sagte ich lahm.
    »Sie wollen mich töten«, hauchte sie tonlos. »Alle wollen mich töten. Der Seelenwald – er will meine Seele. Ich weiß es. Ich höre seine Stimme…«
    Hart schluckte ich.
    Suko und Shao standen mit bleichen Gesichtern da, hilflos, wie wußten nicht, was sie tun konnten.
    »Niemand wird Ihnen etwas tun, Glenda!«
    »Doch, John, der Wald… Ich muß sein Opfer werden … Und ich muß dich töten, obwohl ich dich liebe.« Mit einem verzweifelten Laut brach sie zusammen. Sie wurde einfach schlaff, als wäre irgendwo ein Stecker herausgezogen worden. Wie eine übergroße Puppe hing sie in meinen Armen.
    Suko räusperte sich. »Ich wollte es dir schonend beibringen, John«, meinte er. »Der Schock… Dann das Beschwörungsritual in der Ruine müssen sie … Nun, sie ist nicht mehr sie selbst. Deshalb hat Tanner, mit Einverständnis von Sir Powell, dafür gesorgt, daß sie in eine Klinik kam …«
    »Und dort ist sie nicht lange geblieben«, räumte ich ein.
    Er nickte. »Sieht so aus. Was machen wir jetzt mit ihr?«
    Ich überlegte laut. »Hierlassen können wir sie nicht«, murmelte ich. »Wenn sie aufwacht und wieder durchdreht, dann…« Ich sah auf Shao. Suko verstand.
    Und dann kam mir plötzlich eine verrückte Idee.
    Auf eine mysteriöse Art und Weise, wahrscheinlich durch das Beschwörungsritual, hatte sie Kontakt zum Seelenwald. Er schien sie lenken zu können.
    Ich wandte mich an Shao und bat sie, die Klinik anzurufen, aus der Glenda entflohen war, und dort Bescheid zu sagen, daß sie bei uns war. Dann schlug ich Suko, der momentan überhaupt nichts begriff, kameradschaftlich auf die Schulter.
    »Auf was wartest du eigentlich noch? Los, komm schon, Alter! Wir haben schon viel zuviel Zeit verpulvert!«
    »Aber Glenda!«
    »Die nehmen wir mit.«
    »Das ist doch verrückt, John!«
    »Wer oder was ist heutzutage schon noch normal?«
    Ich drückte Suko den Einsatzkoffer in die Hand. Dann nahm ich Glenda auf meine Arme und marschierte los.
    Suko fluchte und murmelte etwas vor sich hin: »Verflixter Dickschädel!« und »Kaum von den Toten auferstanden, und schon wird er wieder übermütig!«
    Aber er folgte mir.
    Ich lächelte in mich hinein. Suko hatte mich total durchschaut.
    Wahrscheinlich war ich wirklich verrückt, wie mein chinesischer Freund vorhin behauptet hatte. Oder das Trümmerstück, das mir beim gestrigen Einsatz an den Schädel geflogen war, hatte mehr durcheinandergebracht, als mir lieb sein konnte.
    Auf jeden Fall mußte ich mir selbst gegenüber zugeben, daß ich auch nicht so recht wußte, warum ich Glenda mitnahm.
    Aber manchmal hat man diese Eingebungen, und dann sollte man sie schon ernst nehmen. Genau das tat ich.
    ***
    Geduckt rannten wir zu dem Yard-Hubschrauber hinüber. Das laute Dröhnen machte mich schier taub. Der heftige Wind schleuderte mir winzige Regentropfen ins Gesicht.
    Wir enterten den Libellenkörper, ließen uns in die Schalensitze fallen und schnallten uns an.
    Der Pilot nickte uns zu, sagte »Hello, Oberinspektor, hello, Mr. Suko«, und zog den Hubschrauber hoch.
    Rasend schnell sackte das schwarzgraue, nasse Band der Straße unter uns weg. Die Kollegen von der City Police, die die Straße gesperrt hatten, um das Landemanöver abzusichern, gaben uns Handzeichen.
    Der bleigraue Himmel, der sich wieder einmal über der Riesenstadt London ausdehnte, wirkte beileibe nicht ermunternd.
    In der Ferne schwamm
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