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0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

Titel: 0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
Autoren: Gerhart Hartsch
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waren von alledem ein Leben lang verschont geblieben, hatten hart gearbeitet, immer vom Wetter abhängig und der nächsten Ernte, aber ohne das Wissen um Fließbandarbeit, Akkord und Leistungsprämien.
    Pierre Lafitte folgte dem Trampelpfad, der von der Schänke zu seinem Anwesen führte und Zeugnis ablegte, daß Generationen männlicher Lafittes diesen Pfad gezogen waren. Ein Stück weit leistete ihm sein Nachbar Henry Moulin Gesellschaft. An einer verfallenen Scheune trennten sie sich.
    Mit ruhigem schwerem Schritt setzte Pierre Lafitte seinen Weg fort. Er paffte einer Pfeife mit zerbissenem Mundstück.
    Seine Unterarme waren tätowiert. Lafitte hatte ein paar Jahre bei der christlichen Seefahrt gedient und den Krieg auf einem französischen Zerstörer in Übersee verbracht. Er war daher einer der wenigen, die mehr kannten als nur die engen Grenzen von Mazamet und das Hochland der Montagne Noire.
    Ausgerechnet ihm aber mußte das Fabelwesen begegnen!
    Zuerst bemerkte Pierre Lafitte ein helles Leuchten zwischen den Kastanienbäumen, die den hellen Sandweg säumten. Er stutzte, rieb sich die müden Augen und glaubte, einer Halluzination zum Opfer gefallen zu sein. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte er, daß er sich keineswegs getäuscht hatte.
    Zwischen einer Gruppe von Wacholderbüschen und Kiefern wanderte ein Wesen dahin, das eigentlich in die Welt der Fabeln und Schauergeschichten gehörte, die der Pfarrer von Mazamet, Abbé Roullain, bisweilen aus alten Chroniken im »Au Relais« zum besten gab - wenn nur der Wein reichlich genug sprudelte.
    Pierre Lafitte bemerkte eine stumme schwarze Gestalt, einen Riesen, der alles überragte, in einem Trikot. Auf der Schulter ruhte ein Beil von erstaunlichen Ausmaßen. Ein Instrument, wie es von Holzfällern sicher nicht benutzt wurde.
    Lafitte war abergläubisch wie alle Seefahrer, aber gewiß kein Feigling. Daher brachte er es auch fertig, das Phantom anzurufen..
    Als er keine Antwort erhielt, setzte er dem Unbekannten in langen Sprüngen nach, erreichte ihn am Rande eines Baches, im Halbdunkel der Weidenbüsche und wollte ihn an der Schulter berühren. Aber seine Finger spürten keinen Widerstand. Was seine Augen ihm meldeten und was sicher vorhanden war, ließ sich nicht anfassen, war nicht greifbar.
    Lafitte begriff dieses Phänomen nicht.
    Mit offenem Mund starrte der Franzose den Unheimlichen an, der den breiten, reißenden Forellenbach überwand, ohne einen Anlauf zu nehmen.
    Der nächtliche Wanderer schien auf dem Wasser zu wandeln. Er erreichte das andere Ufer mühelos und schaute sich gleichgültig um.
    Pierre Lafitte starrte fassunglos in das abstoßende Gesicht mit den nadelscharfen Zähnen und der brüchigen Pergamenthaut. Blutleere Lippen saßen wie eine Messernarbe unter der Adlernase. Tote Augen sprühten in einem überirdischen kalten Leuchten.
    Angst und Neugier hielten sich die Waage in Lafittes Brust. Für einige Sekunden. Dann siegte die Wißbegier.
    Lafitte war Ende der Fünfzig, wohl rüstig noch, aber nicht mehr sportlich genug, um den Sprung über den Bach zu wagen. Er rannte also zum nächsten Steg, setzte über und kehrte dorthin zurück, wo er den Unheimlichen zuletzt gesehen hatte.
    Die Erscheinung war verschwunden. Keine Fährte wies den Weg.
    Ratlos schaute sich Lafitte um. Er hatte einen Angriff erwartet, eine ärgerliche Reaktion des Fremden. Aber nichts war geschehen. Friedlich und unbeirrt hatte die überirdische Erscheinung des Scharfrichters ihren Weg fortgesetzt. Wohin?
    Lafitte erinnerte sich, von Blutgerüsten auf der Heide gehört zu haben und abgeschlagenen Köpfen. Von der verfluchten Kate, in der einst Michele Utraux gehaust hatte, abseits des Dorfes und wo noch heute, gegen Mitternacht, die Schreie der Delinquenten einen aus dem Schlaf rissen. So daß selbst die Schäfer mit ihren Herden diese Gegend mieden wie die Pest. Konnte es doch geschehen, daß die Tiere plötzlich unruhig wurden, in wilder Panik davonstürzten und sich irgendwo Genick und Beine brachen.
    Lafitte besann sich auf alle Geschichten, die der Abbé mit seiner Vorliebe für gruselige und makabre Geschehnisse berichtet hatte aus der blutigen Vergangenheit des Distrikts Mazamet, makabre Vergangenheit eines makabren Platzes, zusammengetragen aus alten Kirchenchroniken.
    Darin war auch die Rede gewesen von Michele Utraux, dem Scharfrichter im Solde des Herzogs von Albi, einem wüsten Tvrannen, der mit eiserner Hand und einem Schreckensregiment von Henkern die
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