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0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

Titel: 0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
Autoren: Gerhart Hartsch
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durchschauen!«
    Zamorra, bereits halb in der Grube verschwunden, schaute über die Schulter zurück. Er wirkte bleich und gefaßt, zugleich sehr entschlossen. Seine Hand umkrampfte den spitzen Holzpflock. Von seinem Talisman, wieder wohl verwahrt in der Brusttasche, ging ein magisches bläuliches Eisleuchten aus.
    »Ich werde eine Ausnahme machen, Ravien«, bot der Professor an.
    Nicole Duval zog sich mit den anderen zurück. Sie kannte die Prozedur und hatte niemals Lust verspürt, sie unmittelbar mitzuerleben.
    Zamorra packte den Pfahl mit beiden Händen. Breitbeinig stand er über dem Scharfrichter von Mazamet, der mit Anbruch des Tages endgültig in die ihm zukommende Totenstarre verfallen war.
    Zamorra zielte gut. Dann biß er die Zähne zusammen und stieß den Pflock senkrecht nach unten. Er erwischte auf Anhieb die Herzgegend. Das Holz drang tief ein, ohne zu splittern.
    Ein markerschütternder Schrei ertönte.
    Dieser Laut hatte nichts Menschliches mehr. Er ging durch Mark und Bein. Selbst die, die weiter hinten standen, hielten sich in Panik die Ohren zu. So schmerzte der Laut. Er klang wie der Aufschrei eines gerade zum Tode Verurteilten. Wie eines Wesens, das keine Hoffnung mehr hegt.
    Zamorra schwitzte. Wie jedesmal. Denn ihn traf es doppelt schlimm. Erstens stand er im Grab, zweitens dicht am Opfer, drittens wußte er, was auf ihn zukam und zitterte vor diesem Todesschrei des Verfluchten von der ersten Minute an.
    Manchmal hatte er das Gefühl - wie gerade jetzt er müsse ohnmächtig zu Boden sinken. Er hielt sich knapp auf den Beinen. Keuchend lehnte er an der Wand und sammelte sich.
    Dafür ging Ravien wie vom Blitz getroffen zu Boden.
    Seine Frau rannte zu ihm. Dabei kam sie der Gruft zu nahe und sah, was sich auf deren Grund abspielte.
    Es war, als pulsiere wieder Blut in den Adern des Scharfrichters. Er erlebte die wunderlichsten Metamorphosen. So, als werde jede Station seines Lebens noch einmal in Blitzeseile durchlebt und durchlitten.
    Zum Schluß aber kehrte der Totenschädel zurück, der ihm eigen war. Und es erhob sich ein starker Wind. Er blies die Asche des Unglücklichen davon und zerstreute sie über dem Land, das so lange unter ihm gelitten hatte.
    Erleichtert stieg Zamorra aus dem Grab.
    Ein ekliger Verwesungsgestank lag über der Grube, verflog aber schnell. Und Zamorra ließ die Grube zuschütten.
    Inzwischen kam Ravien wieder zu sich.
    »Ich weiß jetzt, daß Sie recht haben«, meinte er verlegen.
    Zamorra zuckte nur die Achseln.
    »Das Wissen um das Böse und der Kampf gegen das Unheil machen mich keineswegs stolz. Aber jemand muß es ja tun«, erwiderte Zamorra nur und ging langsamen Schrittes zum Fahrzeug.
    Langsam schlossen sich alle an, und sie fuhren zum Dorf zurück.
    Als sie am Friedhof vorbeikamen, hörten sie das Weinen einer Frau. Und einige waren entsetzt, weil sie glaubten, in ihrer Abwesenheit habe Houdain dem Dorf weiteren Schaden zugefügt.
    Die Töne kamen von jenseits der Mauer.
    Eine Frauenstimme begann zu sprechen. Sie klagte ihren Sohn an und verwünschte ihn für seine Sünden. Sie nannte ihn schlecht und verdorben - wie es sein Vater gewesen war, dieser Bauer Lafitte. Der schließlich seinem Schicksal nicht entgangen war, ebensowenig wie seine hartherzige Frau.
    Zwischendurch erklang auch eine Männerstimme.
    Die wenigsten konnte Nicole Duval auf Anhieb identifizieren.
    »Das ist Robert Houdain!« rief sie erschrocken.
    Die Bauern griffen zu ihren Waffen. Aber Zamorra stoppte sie. Er allein wußte, was ihn dort erwartete, zwischen den Gräbern, in der Selbstmörderecke des Friedhofs von Mazamet.
    Langsam öffnete er das schmiedeeiserne Tor und ging den hellen Kiesweg entlang. Dabei schloß er ein wenig die Augen, denn die aufgehende Sonne blendete ihn. Die ersten Strahlen wärmten prächtig, und es versprach ein schöner Tag zu werden in den Montagne Noire, nördlich von Caracasson, in Südfrankreich.
    Am Grab der Madame Houdain hockte nur eine Person: ihr Sohn Robert. Mal sprach er mit der eigenen Stimme, mal mit der des Wesens, das er geliebt hatte. Des einzigen Menschen, der gut zu ihm gewesen war und dessen Tod ihn hinausgetrieben hatte, in die Fremde, verleitet zu Rachegedanken und zu frevelhaften Praktiken, um das verruchte Ziel zu erreichen.
    Robert Houdain wurde niemals verurteilt. Er war geistig nicht mehr zurechnungsfähig. In seinem Haß auf Mazamet und seinem irren Verlangen, einen ruhelosen Scharfrichter als Werkzeug seiner Rache zu benutzen, hatte
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