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0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

Titel: 0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
Autoren: Gerhart Hartsch
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Aussparung eines Brettes. Er befand sich in der gleichen Lage wie vorher Nicole. Es gab kein Entrinnen.
    Ergeben schloß Professor Zamorra die Augen. Der Anblick des von Sägespänen gefüllten Weidekorbes war ihm unerträglich. Es gab keine Rettung. Denn er konnte nicht an sein Amulett herankommen, um den Spuk aufzulösen, die bösen Geister zum Rückzug zu zwingen.
    Leise knarrte ein Brett. Der Henker trat seitlich an sein Opfer heran. Die Totenvögel lärmten in den Bäumen. Höhnisch krächzten die Raben.
    »Warten Sie!« gurgelte Zamorra.
    Niemand antwortete ihm. Nur die Schnabelschuhe des Scharfrichters von Mazamet waren in seinem Gesichtskreis aufgetaucht. Und dann ertönte das Pfeifen eines Schwertes. Die Klinge zischte durch die Luft.
    »Nein!« brüllte Zamorra, so laut er konnte.
    Es gab einen harten Aufprall.
    Zamorra lag unbeweglich im taufeuchten Gras. Ausgestreckt auf der Erde. Es gab kein Blutgerüst.
    Vorsichtig bewegte er den Kopf. Er saß noch fest auf dem Hals. Nirgends spürte Professor Zamorra Schmerzen. Niemand hatte ihn verletzt.
    Nur langsam fand Zamorra in die Wirklichkeit zurück. Es war alles ein böser Spuk gewesen. Hirngespinste! Aber nicht zufällig entstanden, sondern hervorgerufen durch die Macht und den Einfluß eines magischen Willens, dessen Besitzer darauf aus war, die Grenzen zwischen Realität und Schein zu verwischen. Der einen zwang, Horror-Trips in die Welt der Metaphysik zu unternehmen, in das Reich jenseits der Naturgesetze.
    Professor Zamorra kannte diese Gauklertricks. Er hatte sie in Indien beobachtet. Tausende von Zuschauern sahen ein Seil, das sich aus dem Boden erhob wie eine züngelnde Schlange, dessen Ende in den Wolken verschwand. Dann rannte ein kleiner Junge um sein Leben. Verfolgt von einem wutschnaubenden Krieger, der ein blitzendes Schwert schwang. Jeder sah, wie die Sonnenstrahlen sich in dem blitzenden Metall spiegelten.
    Jeder litt mit dem Opfer, das behende am Seil emporkletterte. Und der Mörder folgte, ohne zu zögern.
    Wenig später ein Schrei. Ein abgetrenntes Haupt fiel in den Sand. Jeder erkannte am Turban, daß der Junge tot war. Sah die im Todeskampf verzerrten Gesichtszüge.
    Ein Gongschlag.
    Die Zuschauer erwachten aus ihrem Alptraum. Nichts war geschehen. Kein Seil, kein abgetrennter Kopf. Nur der weißbärtige Meister, der sich mit gekreuzten Armen und einem rätselhaften Lächeln auf dem Gesicht verneigte.
    Geldmünzen fielen in eine Schale. Der sie herumreichte, war der kleine Junge mit dem hellblauen Turban. Er grinste vergnügt. Er sah gar nicht gehetzt aus, eher pfiffig.
    Zamorra hatte den Alten gefragt, wie er eine solche Massensuggestion fertigbrächte.
    Der Magier hatte gegrinst und gesagt: »Das Bewußtsein ist eine Festung. Aber es führt ein breiter Geheimgang hinein: das Unbewußte. Wer ihm folgt, kommt ans Ziel.«
    Woher aber beherrschte der Scharfrichter von Mazamet, oder wer immer hinter ihm stand, diese fernöstlichen Tricks?
    Langsam begriff Zamorra, daß er einem Trugbild aufgesessen war. Nichts war geschehen. Nicole Duval war nicht wirklich an diesem Ort gewesen? Und das Blutgerüst? Es war spurlos verschwunden. Der Scharfrichter?
    Nichts zeigte sich auf der leeren Fläche.
    Zamorra erhob sich ärgerlich.
    Da stellte er fest, daß seine Hände noch immer gefesselt waren. Dies wenigstens war Wirklichkeit. Ihn beschlich ein beklemmendes Gefühl der Hilflosigkeit. Er war den heimtückischen Angriffen erlegen. Er konnte Sein und Schein nicht mehr auseinanderhalten. Der unheimliche Gegner hatte sein erstes Teilziel erreicht.
    Professor Zamorra war zum erstenmal in seinem Leben völlig verunsichert. Ihn fror. Nebel wallte über den Wiesen. Verlieh den stummen Wacholderbüschen ein gespenstisches Eigenleben. Diese karge Hochfläche war wie geeignet, um sie mit Phantasie auszufüllen. Die Leere mit Einbildungskraft zu beleben. Um nicht von der Melancholie und stummen Drohung dieses Landes überrannt zu werden.
    Professor Zamorra suchte etwas, um sich endlich von den Stricken zu befreien. Seine Arme starben langsam ab.
    Woanders hätte er nicht lange suchen müssen, um auf eine alte Bierflasche zu stoßen oder eine Konservenbüchse. Hier gab es derlei Spuren eines regen Touristenstromes nicht. Man mußte sich anders helfen.
    Zamorra entdeckte einen dunklen Stein, der ein wenig aus der Heide aufragte. Ein schwarzer Basalt, spitz wie eine Nadel. Durchaus geeignet, um daran die Fesseln durchzuscheuern.
    Als Zamorra es geschafft hatte,
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