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010 - Die Bestie mit den Bluthänden

010 - Die Bestie mit den Bluthänden

Titel: 010 - Die Bestie mit den Bluthänden
Autoren: Larry Brent
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in die Hand.
    »Ein Quipu!« sagte er leise. »Eine Nachricht, die durch verschiedenfarbige
Schnüre und Knoten ausgedrückt wird. Diese Form der Übermittlung war im alten
Reich der Inkas weitverbreitet.« Er betrachtete die fingerdicke, verflochtene
Schnur minutenlang, ohne sich zu rühren und musste daran denken, dass sie auch
schon bei der toten Estelle Rochier ein solches Quipu gefunden hatten. Bis zur
Stunde war es jedoch nicht gelungen, die geheimnisvolle Botschaft, die hier
ausgedrückt wurde, zu enträtseln, obwohl das Quipu einem Fachmann in Paris
zugegangen war. Ein Mitarbeiter hatte den weiten Weg nicht gescheut, um Licht
in das Dunkel der scheußlichen Verbrechen zu tragen. Wortlos gab Fernand Rekon
seinem Assistenten die Knotenschnur zurück.
    Danach kaute er auf seiner erloschenen Havanna herum und meinte zu dem
neben ihm stehenden Polizeiarzt: »Je mehr ich anfange, über die Dinge
nachzudenken, um so weniger verstehe ich sie. Sie ergeben keinen Sinn. Erst die
beiden Männer – jetzt die beiden Frauen. Die Fälle – zumindest die beiden
ersten – unterscheiden sich voneinander, und doch können sie von der Hand ein
und desselben Täters begangen worden sein. Für keinen der Fälle gibt es ein Motiv,
zumindest keines, das uns bekanntgeworden ist. Der unheimliche Mörder hat sich
auf dieses Fleckchen Erde konzentriert, soviel ist klar. Hat überhaupt
irgendetwas eine Bedeutung? Das Quipu? Auch das ist noch ein ungelöstes
Rätsel.« Er blickte sich um. Der Sarg mit der Toten wurde in den Leichenwagen
geschoben. Zwei uniformierte Beamte, die inzwischen eingetroffen waren, sorgten
dafür, dass die Neugierigen nicht zu dicht aufrückten. Grüppchen standen
beisammen und besprachen erregt den neuen Mordfall. Der Pfarrer des Ortes
kümmerte sich um die verzweifelten Eltern. Brigitte Latours Mutter musste
gestützt werden. Sie hatte einen Weinkrampf erlitten. Aus der Gruppe der
Umstehenden wurden Zurufe laut. Die Po1izei wurde beschimpft. Man warf Fernand
Rekon Unfähigkeit vor.
    »Das ist der vierte Mord!« rief jemand. »Wann tun die Bonzen endlich
etwas?«
    Es wäre sinnlos gewesen, ihm eine Antwort zu geben. Fernand Rekon verstand
die Regungen der Menschen. Er wusste nur zu gut, welche Emotionen hier frei
wurden.
    Der Täter musste aus dem Ort oder der unmittelbaren Umgebung sein. Er
dachte an Henri Blandeau, den merkwürdigen Einsiedler, den er selbst nach den
ersten Mordfällen vernommen hatte. Er dachte auch an Dr. Sandos, den
Psychologen, der sein kleines Erholungsheim hier in der Nähe hatte. Er dachte
an den Metzger, den Bäcker, den Pfarrer und den Schmied, an all die Familien,
die sie lückenlos vernommen hatten. Niemand im Dorf hatte einen Hinweis geben
können. Alle standen vor einem Rätsel. Und doch konnte jeder im Dorf der Täter
sein. Wer durchschaute einen Psychopathen, dessen unheimliche Triebe aber mit
dem Einbruch der Dunkelheit von Zeit zu Zeit wiederkehrten?
    Merkwürdig, wie sehr sich seine Gedanken in dieser Richtung manifestiert
hatten! Für ihn war der Täter ein Psychopath! Die scheußlichen Spuren der Morde
sprachen für sich. Wie aber konnte man einen Psychopathen erkennen? Dr. Sandos
hätte am ehesten darüber Auskunft geben können, und Fernand Rekon nahm sich
vor, das Haus des Südamerikaners noch an diesem Tag zu betreten, sich auch
einmal die Patienten näher anzusehen. Sandos war der einzige hier in der
Gegend, der aus allen Teilen der Welt Besucher und Patienten empfing. Kranke,
deren Nerven nicht mehr ganz in Ordnung waren.
    Auf jeden Fall würden die Polizeistreifen in dieser Gegend gegen Abend
verstärkt werden, und er würde auch darauf pochen, noch einmal das ganze
Waldstück lückenlos abzusuchen. Vielleicht hielt sich dort jemand verborgen.
    Es gab tausend Fragen, tausend Möglichkeiten – aber es gab nur eine einzige
Wahrheit, und Rekon hätte ein Jahr seines Lebens dafür gegeben, wenn er nur
einen Zipfel dieser Wahrheit hätte greifen können.
    Sorgenfalten zerfurchten seine Stirn. Beim derzeitigen Stand der Dinge
musste er damit rechnen, dass sich am darauffolgenden Tag das Gleiche
wiederholen konnte. Wenn es ein geheimnisvolles System in der Handlungsweise
des Täters gab, dann müsste logischerweise der nächste Mord an einem Mann
geschehen.
    Fernand Rekon schluckte. Er rechnete bereits mit dem nächsten Mord, und
sein untrügliches Gefühl sagte ihm, dass er ihn nicht einmal verhindern konnte.
     
    ●
     
    Im Gesicht des Psychologen zuckte kein Muskel.
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