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01 - Tage der Sehnsucht

01 - Tage der Sehnsucht

Titel: 01 - Tage der Sehnsucht
Autoren: Marion Chesney
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sich noch schlimmer an als sein Englisch.
    Die kleine Lizzie
brach in Tränen aus und zog sich die Schürze über den Kopf. Alle blickten auf
sie herab. Und doch hatte jeder sie auf seine Art gern.
    MacGregor hörte auf
zu fluchen und lüftete sein Käppchen aus weißem Leinen, unter dem er ein Stück
Fleisch versteckt hatte. Ohne ein Wort zu sagen, schob er das Fleisch über den
Tisch zu der schluchzenden Lizzie hin.
    Joseph stieß den
Stöpsel in die Moschusflasche. »Nimm sie, Lizzie«, bat er. »Hör auf zu weinen.«
     »Schluss mit dem
Streit!« sagte Rainbird scharf. »Wir sind alle überreizt«, fuhr er in sanfterem
Ton fort, als Lizzie aufschluchzte und ihre Schürze sinken ließ.
    »Solche Worte haben
wir uns noch nie an den Kopf geworfen«, meinte sie traurig. »Wird sich unsere
Lage denn nie ändern?«
    »Wohl kaum«,
erwiderte Jenny, die Zofe.
    »Wir könnten
beten«, warf Lizzie ein.
    »Dummes Ding«,
sagte Rainbird seufzend. »Bestimmt haben das schon alle vor uns getan.«
    »Aber vielleicht
nicht in der richtigen Form«, entgegnete Lizzie und trocknete sich mit der
Schürze die Augen. »Ich meine, in einer richtigen Kirche.«
    »Vermutlich denkst
du dabei an eine römisch-katholische«, bemerkte Joseph steif. »Aber du
bist hier die einzige, die diesem Bekenntnis angehört. Wir anderen sind uns
dazu zu fein.«
    Doch Lizzie war nun
einmal auf die Idee gekommen, in der Kirche zu beten, und das schien ihr Mut zu
machen. Sie faltete die Hände. »Mr. Rainbird, dürfte ich heute abend in die
Kirche gehen?«
    »Was! Und mir das
Geschirr überlassen?« fragte MacGregor.
    »Bitte, Mr.
Rainbird.«
    »Es sind nur ein
paar Schüsseln abzuwaschen, Angus«, sagte Rainbird. »Lizzie, du gehst am besten
mit Joseph. Es tut dem Ruf einer Frau nicht gut, sich allein auf der Straße
sehen zu lassen.«
    »Nein, nicht mit
mir«, widersprach Joseph hastig. »Ich bin kein Papist. Was wäre, wenn mich
andere Lakaien in die Kirche gehen sähen?«
     »Ich werde allein
gehen«, erklärte Lizzie. »Und ich werde beten, wie es sich gehört. Unsere Lage
wird sich verändern. Ihr werdet schon sehen.« Sie eilte aus der Gesindestube.
Ihre Holzschuhe machten dabei einen Heidenlärm.
     Mrs. Middleton
schüttelte den Kopf. »Armes, in die Irre geführtes Kind!« meinte sie. »Mein
lieber Vater, Gott hab' ihn selig, sagte immer zu mir, man müsse hinnehmen, was
Gott einem zugedacht hat.«
    »0 je! Uns hat er
Palmer zugedacht«, bemerkte Rainbird bissig.

    Lizzie hatte den Kopf in einen Schal
gehüllt und eilte durch die dunklen Straßen. Ihr schwankender Schatten tauchte
im schwachen Licht der Laternen bald vor, bald hinter ihr auf. Nach einer
halben Stunde lag das vornehme London hinter ihr. Und die Straßen wurden immer
schäbiger und dunkler. Nur wenn sie hörte, dass sich Betrunkene näherten, blieb
sie stehen und drückte sich in den Schatten eines Hauseingangs. Danach eilte
sie weiter, während ihre Holzschuhe laut auf dem Pflaster klapperten.
Schließlich bog sie auf den Soho Square ein und stieß einen Seufzer der
Erleichterung aus, als sie die einladenden Mauern der Patrickskirche sah. Mit
der Hand umklammerte sie einen Penny, den sie gespart hatte und der für den
Kauf einer Kerze reichte.
    Lizzie wünschte
sich nichts sehnlicher, als dass Joseph ein Auge auf sie werfe. Aber sie sagte
sich, dass sie für das Wohl aller beten müsse, ohne an sich persönlich zu
denken.
    In der Kirche war
es still. Lizzie ging langsam, damit ihre Holzschuhe nicht zu viel Lärm
machten, zahlte einen Penny für eine Kerze und begab sich dann zu dem Standbild
der Jungfrau Maria in der Nähe des Altars. Sie zündete die Kerze an und stellte
sie vor die Jungfrau hin. Dann sank sie auf die Knie und betete aufs innigste
darum, dass der Fluch von Clarges Street 67 genommen werde und sie für die
Saison einen Mieter bekämen. Sie betete eine Stunde lang. Standhaft verdrängte
sie dabei alle Gedanken an Joseph, sobald sie die Erinnerung an die
hochgewachsene Gestalt des Lakaien in sich aufsteigen fühlte.
    Schließlich erhob
sie sich, bekreuzigte sich und ging hinaus. Durch die engen Straßen fegte ein
kalter stürmischer Wind. Hoch oben über den rußigen Schornsteinen funkelte ein
kleiner Stern am Himmel. Lizzie fühlte sich plötzlich glücklich. Sie war sich
bewußt, dass es ein Vorzeichen war. Gott hatte also ihr Gebet erhört. Sie
brauchte nur zu warten.
    Mit erhobenem Kopf
kehrte sie auf dem kürzesten Weg in die Clarges Street zurück. Aus
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