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01 - Nacht der Verzückung

01 - Nacht der Verzückung

Titel: 01 - Nacht der Verzückung
Autoren: Mary Balogh
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tot.
    Ein
Mensch in der Kirche wurde sich der selbstverständlichen Folgerung dieser
Tatsache bewusst. Ein erstickter Schrei ertönte im hinteren Teil, und alle, die
sich umdrehten, sahen dort Lauren stehen. Ihr Gesicht war so weiß wie der
Schleier, der es bedeckte, ihre Hände krallten sich in ihr Kleid und strichen
hastig über die Schleppe, bevor sie sich umdrehte und flüchtete, dicht gefolgt
von Gwendoline. Die Kirchentüren öffneten sich und fielen dann recht geräuschvoll
wieder ins Schloss.
    »Es tut
mir Leid«, sagte Lily. »Es tut mir so Leid. Ich war nicht tot.«
    »Neville!«
Lady Kilbourne klammerte sich mit beiden behandschuhten Händen an die
Rückenlehne der Kirchenbank.
    Es
wurde wieder lauter.
    Doch
Neville hob beide Hände.
    »Ich
bitte Euch um Entschuldigung, Euch alle«, sagte er, »aber dies ist wirklich
keine Angelegenheit für die Öffentlichkeit. Zumindest jetzt noch nicht. Ich
hoffe, noch vor Ende des Tages eine umfassende Erklärung abgeben zu können.
Einstweilen ist es offensichtlich, dass hier heute Morgen keine Trauung
stattfinden wird. Ich lade Euch alle ein, zum Frühstück nach Newbury Abbey
zurückzukehren.«
    Er ließ
die Arme sinken, ging durch das Hauptschiff und streckte Lily die rechte Hand
entgegen. Seine Augen blickten fest in ihre.
    »Lily«,
sagte er. »Komm.«
    Seine
Hand ergriff die ihrige und legte sich fest um sie. Er verlangsamte kaum seinen
Schritt, sondern setzte unbeirrt seinen Weg nach draußen fort, Lily an seiner
Seite.
    Neville
riss die Türen weit auf und sie traten hinaus in das gleißende Sonnenlicht, wo
sie sich einem Meer von Gesichtern und einem Chor aufgeregter und neugieriger
Stimmen gegenübersahen.
    Er
ignorierte sie. In Wahrheit sah oder hörte er sie nicht einmal. Er schritt über
den Kirchhofspfad, durch das Eingangstor, durch Gruppen von Menschen, die ihm
den Weg freigaben, indem sie hastig zur Seite traten, und ging auf die Tore von
Newbury Park zu.
    Zu der
Frau an seiner Seite sagte er kein Wort. Er konnte noch immer nicht glauben,
dass das, was geschehen war, was gerade geschah, Wirklichkeit war, obwohl er
die Erscheinung festhielt und ihre kleine Hand in seiner spürte.
    Er war
dabei, sich zu erinnern …

2. Erinnerung an eine Nacht der Verzückung
    Teil II
    Erinnerungen an eine Nacht

    der Verzückung

Kapitel 3
    Lily sitzt allein
auf einem kleinen Felsvorsprung, der hoch in den kargen Hügeln Zentralportugals
über ein tiefes Tal herausragt. Es ist Dezember und es ist kalt.
    Sie
trägt einen abgenutzten, alten Armeemantel, den sie sich auf ihre Größe
zugeschnitten hat. Doch er kann die Tatsache nicht verbergen, dass sie sich im
vergangenen Jahr von einem grazilen, fohlenartigen Mädchen zu einer
atemberaubend schönen Frau entwickelt hat. Das dunkelblonde Haar fällt ihr
locker bis über die Taille. Der Wind bauscht es in ihrem Rücken auf und
zerzaust es hoffnungslos. Ihre schlanken Arme, die von den Ärmeln des
verblichenen blauen Baumwollmantels bedeckt werden, umfassen ihre hochgezogenen
Knie. Trotz der Kälte sind ihre Füße nackt. Wie soll sie die Erde, wie das
Leben spüren, hatte sie einmal erklärt, wenn sie Schuhe trägt?
    Neville
Wyatt, Major Lord Newbury, hat es sich in einiger Entfernung hinter ihr auf dem
Boden gemütlich gemacht und umfasst mit beiden Händen einen Zinnbecher mit
heißem Tee. Er beobachtet sie. Er kann ihr Gesicht nicht sehen, aber er kann
sich den Ausdruck vorstellen, mit dem sie über das Tal unter ihr blickt, hinauf
in den mit Wolken gesprenkelten Himmel oder zu dem einsamen Vogel, der dort
oben seine Kreise zieht. Der Blick wird verträumt sein, heiter. Nein, diese Beschreibungen
sind zu zurückhaltend. Es wird ein Glanz auf ihrem Gesicht sein, ein Leuchten
in ihren Augen.
    Lily
sieht Schönheit, wo auch immer sie geht und steht. Während die Männer des 95.
und die Frauen, die dem Tross folgen, die iberische Landschaft, das Wetter, die
endlosen Märsche, die öden Lager, das Essen und sich gegenseitig verfluchen,
entdeckt Lily stets irgendetwas Schönes. Doch ihr allgegenwärtiger Frohsinn
wird ihr nicht verübelt. Sie ist der Liebling aller.
    Bis vor
kurzem war sie noch ein Mädchen. jetzt nicht mehr.
    Neville
schüttet den letzten Rest Tee neben sich ins Gras und erhebt sich. Er sieht
sich nach den Männern seiner Kompanie um, die er auf diesen Winterspähtrupp
geführt hat, um sicherzustellen, dass die Franzosen den ungeschriebenen Waffenstillstand
der Jahreszeit einhalten und zurückgezogen
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