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01 - Nacht der Verzückung

01 - Nacht der Verzückung

Titel: 01 - Nacht der Verzückung
Autoren: Mary Balogh
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Augen, aber sie war immer noch da und neben ihr die beiden Männer, die
ihre Arme ergriffen hatten und ihn ansahen, als warteten sie auf Instruktionen.
In seinem Kopf, auf seinen Lippen verspürte er eine gewisse Kälte.
    »Lily?«, wiederholte
er, dieses Mal lauter.
    »Ja«,
sagte sie mit der sanften, melodischen Stimme, die ihn in seinen Träumen und
seinem Bewusstsein so viele Monate lang verfolgt hatte, nach ihrem ...
    »Lily«,
sagte er und fühlte sich seltsam entrückt von der umgebenden Szenerie. Er
vernahm seine eigenen Worte durch das Summen in seinen Ohren, als würden sie
von jemand anderem gesprochen. »Lily, du bist tot!«
    »Nein«,
sagte sie, »ich bin nicht gestorben.«
    Er sah
sie noch immer in dem Tunnel seiner Halluzination. Nur sie. Nur Lily. Er war
sich der Kirche nicht bewusst, nicht der Menschen, die sich unruhig in den
Sitzbänken regten, nicht des Vikars, der sich räusperte, nicht Josephs, der
eine Hand auf seinen Unterarm legte, nicht Laurens, die hinter Lily im Portal
stand und deren Augen in dunkler Vorahnung des sich anbahnenden Desasters weit
aufgerissen waren. Er klammerte sich an das Bild. Er würde es nicht loslassen.
Nicht noch einmal. Er würde sie nicht noch einmal gehen lassen. Er trat noch
einen Schritt vor.
    Der
Vikar räusperte sich erneut und Neville erkannte endlich, dass er sich in der
All Souls Church in Upper Newbury befand, an seinem Hochzeitstag. Und Lily stand
im Chorgang zwischen ihm und seiner Braut.
    »Mylord«,
wandte sich der Vikar an ihn, »kennt Ihr diese Frau? Ist es Euer Wunsch, sie
entfernen zu lassen, damit wir mit der Hochzeitszeremonie fortfahren können?«
    Kannte
er sie?
    Kannte
er sie?
    »Ja,
ich kenne sie«, sagte er mit ruhiger Stimme, obwohl er sich nun völlig bewusst
war, dass jeder einzelne Hochzeitsgast an seinen Lippen hing und ihn deutlich
hörte. »Sie ist meine Frau.«
    ***
    Obwohl die Stille
vollkommen war, dauerte sie nur sehr wenige Sekunden.
    »Mylord?«
Der Vikar war der Erste, der das Schweigen brach.
    Dann
herrschte lautes Durcheinander, als die Hälfte der Anwesenden scheinbar gleichzeitig
zu sprechen anhob, während die andere Hälfte sich genauso laut bemühte, sie mit
Zischlauten zum Schweigen zu bringen, um nichts von Bedeutung zu verpassen. In
der ersten Bankreihe war die Gräfin von Kilbourne aufgestanden. Ihr Bruder, der
Herzog von Anburey, erhob sich ebenfalls und legte seine Hand auf ihren Arm.
    »Neville?«,
sagte die Gräfin mit zitternder Stimme, die nichtsdestoweniger durch das
allgemeine Stimmengewirr hindurch klar zu vernehmen war. »Was hat das zu
bedeuten? Wer ist diese Frau?«
    »Ich
hätte sie letzte Nacht wegen Landstreicherei verhaften lassen sollen«, sagte
der Herzog mit seiner bekannt gebieterischen Stimme und unternahm einen
Versuch, die Situation unter Kontrolle zu bringen. »Beruhige dich, Clara.
Gentlemen, entfernt diese Frau, wenn ich bitten darf. Neville, kehre auf deinen
Platz zurück, damit diese Hochzeit ihren Lauf nehmen kann.«
    Doch
niemand außer dem Vikar schenkte Seiner Gnaden Aufmerksamkeit. Alle hatten
gehört, was Neville gesagt hatte. Seine Worte waren eindeutig gewesen.
    »Bei
allem gebührenden Respekt, Euer Gnaden«, sagte Reverend Beckford, »diese
Hochzeit kann nicht stattfinden, wenn seine Lordschaft soeben diese Frau als
seine Gemahlin bezeichnet hat.«
    »Ich
heiratete Lily Doyle in Portugal«, sagte Neville, ohne auch nur ein einziges
Mal die Augen von der Bettlerin zu nehmen. Die Stimmen, die Ruhe forderten,
wurden nachdrücklicher, bis sich erneut eine Stille, so absolut, dass sie
beinahe ohrenbetäubend war, über die Gemeinde senkte. »Weniger als vierundzwanzig
Stunden später sah ich sie sterben. Ich war sofort an ihrer Seite. Ich stand
über ihrem Leichnam - du warst tot, Lily. Und dann traf mich die
Kugel am Kopf.«
    jeder
wusste, dass Neville vor seiner Rückkehr nach England über einen Monat lang in
Lissabon im Krankenhaus gelegen hatte. Er laborierte an einer Kopfverletzung,
die er sich im Winter bei einem Anschlag in den Hügeln Zentralportugals
zugezogen hatte, als er einen Spähtrupp führte. Gedächtnisverlust, anhaltender
Schwindel und Kopfschmerzen hatten die Rückkehr zu seinem Regiment verhindert,
auch nachdem die Wunde selbst bereits verheilt war. Und dann hatte ihn die
Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht und ihn nach Hause zurückgebracht.
    Aber
niemand wusste etwas von einer Heirat.
    Bis
jetzt.
    Und die
Frau, die er geheiratet hatte, war keinesfalls
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