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01 Jesses Maria: Kulturschock

01 Jesses Maria: Kulturschock

Titel: 01 Jesses Maria: Kulturschock
Autoren: Carla Berling
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hätt ich das gestern noch machen müssen. Dass Beerdigungen aber auch immer so kurzfristig stattfinden. Wer wohl den Sarg bezahlt hat?
    Eiche mit Messing hat Onkel Willi gekriegt. Teuer, so was. Obwohl sich das eigentlich nicht lohnt. Ich hab gelesen, dass Eiche nach drei Jahren verrottet ist. Bei Kiefer geht es schneller. Aber: Tot ist tot und Onkel Willi es jetzt egal.
    Wenn ich mal sterbe, reicht mir Kiefer. So schlecht ist helles Holz nicht. Allerdings: Die Leute würden lästernund sagen, ich könnte mir Eiche nicht leisten. Vielleicht gehe ich vorher gucken, was gut aussieht und bezahlbar ist. Haben Beerdigungsunternehmen eigentlich Prospekte? Im Briefkasten hatte ich noch nie Werbung von Bestattern. Auch komisch. Gestorben wird doch jeden Tag, da gibt’s keine Hochsaison wie zum Beispiel bei Gartenmöbeln oder Grillkohle.
    Kann man eigentlich ins Testament schreiben, welche Blumen man bei der letzten Feier haben will? Ich finde gelbe Rosen am schönsten.
    Das war bei Tante Friedchen damals so nett: Wir haben gelbe Rosen ins Grab geworfen, die Kapelle war gelb dekoriert, der Sarg auch.
    Hier hätten sie die Schleifen ruhig ordentlicher drapieren können. Wie sieht denn das aus. Ganz vorne der Kranz ist von der Feuerwehr. Da war Onkel Willi Ehrenoberst. „In ewigem Gedenken“ steht auf der einen Schleife und auf der anderen „Deine Kameraden“. Schön. Der mickrige Kranz daneben ist vom RGZV. Rassegeflügelzüchterverein. Ist ja beim Sammeln nicht viel zusammengekommen. Wo ist mein Gesteck? Das haben sie ganz hinten hingestellt. Also wirklich. Ich nehme immer Gestecke, keine Kränze. Gestecke halten länger und machen sich auch später noch gut, wenn der Hügel glatt geharkt ist.
    Die Kapelle ist brechend voll. Sozusagen ausverkauftes Haus. Onkel Willi war ja auch ein netter Kerl. Wo ist der Kranz vom Schützenverein? Onkel Willi war zweimal König. Ein paar von den Schießbrüdern sitzen vorne, aber viele sind es nicht. Die sterben auch aus.Warm ist es. Das liegt an den vielen Menschen. Oder haben die etwa die Kapelle geheizt? Dann wird es teuer, denn wer stirbt, muss bezahlen, jede Kerze, jedes Wort vom Pastor und auf Wunsch auch Kapellenheizung.
    Endlich geht die Predigt los. Bin gespannt, was der Pastor über ihn sagt. Gekannt haben werden sie sich nur aus der Wirtschaft, in der Kirche hab ich Onkel Willi jedenfalls nie gesehen. Nicht mal Weihnachten. „Unser lieber Freund Willi Schröder ist von uns gegangen.“
    Da hat er Recht, da gibt’s keinen Zweifel. Da vorne liegt er in seiner Kiste. Ob sie ihn im Kittel begraben haben? Er trug immer diesen grauen Kittel. Oder haben sie ihm extra für heute einen Anzug angezogen? Wäre schade drum, den guten Anzug hätte man in die Kleidersammlung geben können, dann hätt noch einer was davon gehabt. Wenn Onkel Willi ihn heute anhat, ist der Anzug mit weg.
    Wer jammert denn da vorne so laut? Nächstes Mal setze ich mich weiter vorne hin. Allerdings kann man hinten besser sehen, wer da ist. Und an den Schultern sieht man, ob einer richtig weint. Wenn die Schultern zucken, ist das echtes Heulen. Wenn einer nur mit dem Taschentuch an den Augen rumtupft, ist es gespielt.
    Wer zahlt heute eigentlich? Onkel Willi hatte bestimmt eine Lebensversicherung. Aber wer kriegt die? Einer muss erben und die Veranstaltung hier finanzieren. Bin gespannt, wer da absahnt. Müsste man beim Trauerzug sehen können: Wer am dichtesten hinter dem Sarghergeht, muss Verwandtschaft sein.
    Endlich, gleich können wir raus. Ich kann nicht mehr sitzen. Vielleicht sollte man anregen, dass die Bänke in der Friedhofskapelle Polster bekommen? Die alten Leute, die oft zu Begräbnissen gehen müssen, würden sich freuen, wenn sie es gemütlicher hätten.
    „Tach, Frau Obermeier, wie geht’s? Ja, wirklich traurig. Und so früh. Neunundsiebzig ist doch heutzutage kein Alter mehr. Nein, ich weiß auch nicht, wer jetzt sein Haus übernimmt. Da muss viel dran gemacht werden. Wer das erbt, wird ordentlich was reinstecken müssen. Sehen wir uns nicht mehr beim Essen? Schade. Na denn, schönen Tag noch, Frau Obermeier.“
    Dass sie auf diesem Friedhof immer noch Kieswege haben! Ich ruiniere mir die Absätze. In Minden haben sie Asphalt, das ist besser für die Schuhe und knirscht beim Gehen nicht so laut. Ganz schön lange Schlange, hundert Leute sind das sicher. Erde werfe ich aber nicht rein! Dafür kannte ich Onkel Willi doch nicht gut genug. Bin gespannt, wer an der Grube heult.
    Liegt drüben
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