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01 Jesses Maria: Kulturschock

01 Jesses Maria: Kulturschock

Titel: 01 Jesses Maria: Kulturschock
Autoren: Carla Berling
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schaffe ich den Braten noch.
    „Tamara, bitte! Du willst doch kein Klimpergeld in den Klingelbeutel werfen? Ich meine, du kannst es ja nicht wissen, dass Jochen Tellermann an der Tür steht und sammelt, den kennst du ja nicht. Schmeiß einen Schein rein, bitte! Ich gebe ihn dir zuhause wieder, aber bitte blamier mich jetzt nicht.“
    „Guten Abend, Frau Hansmeier und fröhliche Weihnachten. Ja, die Predigt war wunderschön, und das Krippenspiel auch. Ich habe ihre Kinder so bewundert, so groß sind sie geworden und so schön haben sie gespielt.“
    „Fröhliche Weihnachten, Herr Tellermann. Nein, das ist nicht großzügig, das ist doch selbstverständlich, die armen Straßenkinder in Bolivien.“
    „Fröhliche Weihnachten, Herr Pastor Geldmacher, schön haben sie gesprochen! Ja, jetzt, wo die Kinder nicht mehr… und ich alleine…, komme ich wieder öfter in den Gottesdienst. Im gemeinsamen Gebet fühlt man sich immer wieder wunderbar geborgen.“

Berichterstattung
    Es sind Ausländer. Das ist das erste Mal, dass Ausländer in unserem Haus wohnen. Ich weiß nicht, ob die Hausverwaltung sich das gut überlegt hat. Die Leute müssen ja zu den anderen Mietern passen. Ich weiß nicht mal, welche Nationalität die haben. Frau Pohlmann aus der zweiten Etage weiß auch nicht, wo die herkommen. Sie schätzt, Persien. Sie sagt, er wäre Arzt im Krankenhaus, Herr Sauer aus dem Erdgeschoss hat es ihr erzählt. Ein Doktor. Angeblich hat er vorher in Berlin gearbeitet. Das muss seinen Grund haben, dass er jetzt nach Ostwestfalen versetzt wurde. Freiwillig geht ein richtiger Arzt nicht in die Provinz. Da muss was vorgefallen sein.
    Frau Pohlmann hat im Berliner Telefonbuch nachgeguckt, ob es da einen Doktor Raad gibt. Im alten Telefonbuch, da ist die richtig auf Zack gewesen. Es gibt in Berlin wohl ein paar Raads, aber keinen Doktor. Gut, das heißt noch nichts, unten an der Klingel steht hier auch nur „Raad“. Sonst nix. Wo die herkommen, kann man an diesem Namen auch nicht sehen. Raad, das kann alles mögliche sein, sogar deutsch.
    Sie spricht nicht mit mir. Ich hab sie neulich im Hof gegrüßt, als sie am Fenster stand. Sie hat das Fenster zugeknallt. Kein Gruß zurück, nichts. Das sind keine deutschen Manieren. Das macht man nicht. Da müssen die sich anpassen. Und grade, wenn er Arzt ist. Aber das ist auch noch nicht bewiesen.
    Eigentlich stellt man sich im Haus vor, wenn man neu eingezogen ist. Das haben bisher alle so gemacht. Die nicht. Haben sie vielleicht nicht nötig. Oder sie wissen es nicht besser.
    Irgendwann muss sie mit mir reden, wir müssen uns schließlich absprechen, wer wann die Treppe macht. Die letzten Wochen, als die Wohnung gegenüber leer stand, hab ich geputzt, aber jetzt muss das wieder im Wechsel sein. Seh ich überhaupt nicht ein, dass ich den Herrschaften noch den Dreck wegputze.
    Gestern hab ich ihr einen Treppenhausputzplan an die Tür geklebt. Ich hab geschrieben: Erste Woche: Frau Jesse. Zweite Woche: Neue Mieterin. Dritte Woche: Frau Jesse. Vierte Woche: Neue Mieterin. Den Namen kenne ich ja offiziell gar nicht, sie hat sich ja bei mir noch nicht vorgestellt. Der Zettel ist weg, die Treppe hat sie am Samstag nicht geputzt. Sauerei so was. Ich hab sie noch nie im Treppenhaus gesehen, obwohl ich oft genug durch den Spion gucke. Ihn höre ich morgens nicht weggehen, er ist ganz leise. Aber wenn Madame aufsteht, dann höre ich das. Die knallt die Türen, da sitz ich hier kerzengerade. Wer weiß, wo die weg kommt. Vielleicht hatten die da nur Zelte und keine Türen. Wenn sie aber mit einem Arzt verheiratet ist und schon in Berlin gelebt hat, wird sie unsere Lebensart kennen. Und sie wird doch deutsch reden können? Wenigstens „Guten Tag“ kann man in einer fremden Sprache können, wenn man schon im Ausland lebt. Wie soll sie einkaufen, wenn sie kein deutsch kann? Oder fernsehen? Einmal fuhr sie in ihrem weißen Polo an mir vorbei.Führerschein hat sie also. Ob der in Deutschland gültig ist?
    Tamara sagte am Telefon: „Wenn du die Frau kennenlernen willst, Tante Maria, dann klingel doch einfach bei ihr. Und wenn sie das Treppenhaus putzen soll, dann sag es ihr.“ Tamara hat Nerven. Das seh ich gar nicht ein, dass ich hinter so einer noch herlaufe. Ich bin die Ältere, sie ist die Neue, sie muss den Kontakt suchen, nicht ich. Ich weiß von der nur, was Frau Pohlmann herausgefunden hat. Am Anfang hieß es ja nur, dass die Wohnung wieder vermietet wäre. An wen, das hat
mir
keiner gesagt.
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