Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 Jesses Maria: Kulturschock

01 Jesses Maria: Kulturschock

Titel: 01 Jesses Maria: Kulturschock
Autoren: Carla Berling
Vom Netzwerk:
nicht Trude Stühmeier? Ja, das ist das Familiengrab. Ach, hat sie’s schön.
    Weiße Erika, Koniferen und Buchsbaum. Und gepflegt. So eine Grabbepflanzung kostet ein Vermögen. Stühmeiers lassen das bestimmt vom Gärtner machen, die ham‘s ja. Wenn sie Pech haben, fressen ihnen die Kaninchen alles ab. Hab ich selber schon erlebt: Frische Blumen, ordentlich gepflanzt, und nach ein paar Tagen standen nur noch die Stängel. Mensch, hab ich mich geärgert. Seitdem hab ich bei Mutter Efeu gesetzt, das istimmer ordentlich und man muss auch nicht so oft zum Schneiden hingehen.
    Wie sieht denn der Grabstein von Dreschmeiers aus! Alles grün vermoost, das kann man doch so nicht lassen! Ich will später gar keinen Stein. Wenn sich keiner um mein Grab kümmert und alles verwildert ist, sollen die Leute gar nicht wissen, dass ich da liege.
    Hier also wird Onkel Willi ewig ruhen. Schönes Plätzchen, da hat er Morgensonne. Und in guter Gesellschaft ist er auch, so nah neben der Frau vom Bürgermeister.
    Wer ist die Frau mit dem Schleier vorm Gesicht? Kenn ich nicht. Schleier. Was soll denn das? Wir sind hier nicht beim Fernsehen.
    Viertel nach zwölf, wir haben ganz schön überzogen. Ob die im Sachsenkrug mit dem Essen warten?
    „Tach, Frau Niedermeier. Ja, schön hat er es hier. Nein, ich weiß nicht, wer die Frau mit dem Schleier ist. Uneheliche Tochter? Willi? Sagen Sie bloß. Ach, und die erbt? Jaja, wir reden beim Essen, bis gleich.“
    Ob diese angebliche Tochter in sein Haus einzieht? Oder ob sie es verkauft? Solche Leute denken doch nur pekuniär. Mit Schleier…
    Langsam könnt ich nen Schnaps vertragen, es ist frisch. Ich brauch für Beerdigungen unbedingt mal eine wärmere Jacke. Aber wenn die Leute im Sommer sterben, weiß ich auch nie, was ich anziehen soll. Aaamen. Ich glaube, ich trinke nachher zwei Schnäpse, durchgefroren, wie ich jetzt bin. Auf Onkel Willis Wohl. Das hätte er so gewollt.

Kabale und Liebe
    Theater ist eigentlich nicht mein Fall. Man muss sich lange konzentrieren und die ganze Zeit aufpassen, sonst kann man nachher nicht mitreden.
    Aber dass Tamara ein Abo für uns gekauft hat, ist toll. Sie ist ein Schatz. Bis Juni besuchen wir nun jeden Monat eine Vorstellung. Heute gucken wir „Kabale und Liebe“.
    „Man wird alt wie ne Kuh und lernt immer dazu“, hat meine Mutter immer gesagt. Recht hatte sie. Tamara hat mir nämlich eben erklärt, dass eine Kabale eine Intrige ist. Ich hatte das verwechselt. Die ganze Zeit hatte ich mich gefragt, wie die das mit den Menschenfressern auf der Bühne darstellen wollen. Auf gut deutsch heißt es also „Intrige und Liebe“.
    Ich wusste gar nicht, dass die Bonner Schauspiele in Bad Godesberg aufgeführt werden. Tamara erzählte, dass die Einheimischen neuerdings „Todesberg“ sagen. Weil kaum noch einer da ist. Vielleicht machen die Bonner Theater in Godesberg, damit überhaupt noch jemand kommt? Heute ist es ganz schön voll. Ein paar Prominente sind wahrscheinlich doch noch hier. Manche benehmen jedenfalls sich so.
    Die alte Schachtel mit dem schwarzen Schlabberrock und den viel zu hohen Stöckelschuhen sieht aus wie ne Promigattin. Die ist mindestens sechzig und trägt solche Schuhe. Also, Gicht kann sie nicht haben, soviel steht fest. Dass der Mann neben ihr ganz unscheinbaraussieht und auffallend kleiner ist als sie, das ist ganz typisch für Politiker. Ihre Frisur bewegt sich keinen Millimeter, auch nicht, wenn sie den Kopf so geziert nach hinten wirft. Klar: Haarspray. Abends, halb acht in Bad Godesberg, und die Frisur sitzt.
    Wie sie ihre Louis-Vuitton-Tasche vor dem Bauch schaukelt, damit sie bloß jeder sehen kann, das ist nicht vornehm. Das tut man nicht.
    Ich kann bis heute nicht erkennen, welche von diesen Taschen echt sind und welche nicht. Frau Schweiger aus der Personalabteilung hat eine echte, die hat sie sich im Urlaub in Istanbul gekauft, weil sie da wesentlich billiger sind. Ich glaube, die echten Louis-Vuitton-Taschen kann man sowieso nur in den Hauptstädten kaufen.
    Ah, jetzt kommen bei der Promitante noch mehr Leute dazu. Bussi links, Bussi rechts, meine Güte, ist das albern. Wenn sie sich mal richtig auf die Wangen küssen würden, sähen sie ziemlich verschmiert aus, so, wie die angepinselt sind. Wer sich die Lippen in dem Alter noch so grell anmalt, sollte darauf achten, dass kein Lippenstift auf den Zähnen klebt. Wie sieht das denn aus!
    Manche haben sich aufgedonnert. Abendkleid im Theater ist heutzutage unangemessen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher