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0095 - Yama, der Totengott

0095 - Yama, der Totengott

Titel: 0095 - Yama, der Totengott
Autoren: Hans Wolf Sommer
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als gelehriger Schüler. Schnell schon fühlte er sich bereit, die Tat zu wagen.
    Hiervon aber wollte sein Guru noch nichts wissen. Er sagte etwas, das Blo, der als Dolmetscher immer dabei war, ins Englische übersetzte: »Zuerst musst du in vollendeter Form die Schlangenpraktik beherrschen.«
    Schlangenpraktik? Das hörte sich nicht gut an, fand der Professor.
    Padma machte es ihm vor. Er nahm die Lotus-Stellung ein und griff nach zwei armlangen, sehr dünnen Schlangen, Giftschlangen, wie Zamorra erkannte.
    Mit einem Gefühl echten Ekels, sah er zu, wie der Lama die vorher eingeölten Reptilien in die Nasenlöcher einführte und zum Mund wieder hinauszog. Zamorra war es rätselhaft, wieso ihn die Giftschlangen nicht bissen. Auch verstand er nicht, dass Padma überhaupt Luft bekam. Seiner Ansicht nach mussten die Tiere die Atemwege völlig versperren.
    Aber dem war sichtlich nicht so. Der Lama atmete ganz ruhig und versank dabei in eine Meditationsphase, die von erstaunlicher Weltabgeschlossenheit war. Selten hatte Zamorra einen Menschen gesehen, der so total abgeschaltet hatte.
    Padma erklärte ihm später, dass die Beherrschung der Schlangen eine reine Frage der Atemtechnik sei, die man natürlich erlernen müsse. Außerdem würde der menschliche Körper bei entsprechendem Training immun gegen das Schlangengift. Auch er, Zamorra, würde das noch am eigenen Leibe verspüren. Zuerst jedoch sei es gefährlich, gleich mit den Schlangen zu üben. Angebracht sei es, zuerst mit dünnen Gerten das Einführen und Herausziehen zu trainieren.
    Nicht mit mir!, dachte der Professor. Die Schlangenpraktik empfand er als so ekelhaft, als so widerwärtig, dass er nicht im entferntesten mit dem Gedanken spielte, sich darauf einzulassen.
    Sein Guru war entsetzt, als er von Zamorras Weigerung hörte.
    »Aber du musst die Schlangentechnik beherrschen, Zsamorrha«, beteuerte er mit ungewohnter Vehemenz.
    »Kann ich sonst die zwölfte Tschöd-Prüfung nicht bestehen?«, erkundigte sich der Professor.
    »Doch«, sagte-Padma, »grundsätzlich schon. Nur wird die Prüfung dadurch noch schwieriger. Die Schlangendisziplin beseitigt alle Angst, denn wer die giftigen Würmer in sich spürt und ihre schreckliche Gegenwart erträgt, fürchtet nichts anderes mehr. Seine Meditationskraft wird von vollkommener Tiefe sein. Außerdem sind die Schlangen Lieblingstiere der Dämonen. Wenn du sie beherrschst, zeigst du den Mächten der Finsternis, dass du es furchtlos mit ihnen aufnehmen kannst.«
    Er konnte reden, so viel er wollte, Zamorra blieb bei seiner Weigerung. Dieser scheußlichen Prozedur würde er sich niemals unterziehen, auch wenn er verstandesgemäß einsah, dass sie durchaus praktische Vorteile brachte.
    Resigniert gab Padma seine Versuche auf, ihn doch noch, zur Schlangenpraktik zu überreden.
    »Du selbst bist Herr deiner Entscheidungen«, ließ er den Professor wissen.
    »Ja«, sagte der Professor, »das bin ich. Liegen sonst noch irgendwelche Gründe vor, die mich daran hindern könnten, jetzt die Prüfung anzugehen?«
    Padma wusste keine.
    ***
    Ort der Tschöd-Prüfung war der Friedhof des Schlangenklosters, der unmittelbar hinter dem Gebäude lag.
    In vielen Regionen Tibets war es Sitte, die Verstorbenen nicht zu begraben oder zu verbrennen. Statt dessen wurden sie einfach im Freien niedergelegt, um der Natur alles weitere zu überlassen.
    Entsprechend war die Atmosphäre auf dem Klosterfriedhof. Ein entsetzlicher Gestank verpestete die normalerweise so klare Bergluft. Überall zwischen den Felsen lagen Skelette und Totenköpfe herum. Einige erst vor kurzem Gestorbene waren noch nicht völlig skelettiert. Klosterhunde und aasfressende Raubvögel hielten ein schauriges Mahl.
    Aber gerade wegen der makabren Nahe des Todes war der Friedhof die ideale Örtlichkeit. Das Id der Verstorbenen ging ein in die Welt des Jenseits. Und mit der jenseitigen Welt wollte der Tschöd-Praktiker Verbindung aufnehmen. Die physische und psychische Assoziation war also gegeben.
    Padma, Bill Fleming und Blo begleiteten den Professor auf den Friedhof. Der Guru gab ihm letzte Ratschläge, die Blo übersetzte. Beide Lamas gaben sich Mühe, Ruhe auszustrahlen.
    Bill gelang das nicht. Er war nervös und zeigte es auch.
    »Willst du dich wirklich auf diesen Wahnsinn einlassen, Zamorra? Dieser Leichenplatz hier - das ist doch… ist doch geradezu abartig. Und einmal ganz abgesehen von diesem Dämonenspuk ist es auch noch höchst gefährlich. Wo Hunde und Aasgeier
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