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0095 - Yama, der Totengott

0095 - Yama, der Totengott

Titel: 0095 - Yama, der Totengott
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Mönch sind?«, wunderte sie sich.
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »das habe ich nicht gewusst. Die Erinnerung an meine früheren Leben war verschüttet. Nur manchmal kamen, völlig unkontrolliert, Erinnerungsfetzen durch, mit denen ich jedoch nichts anzufangen wusste. Ähnlich war es mit meinen Kenntnissen der anderen Welt.«
    »Kenntnisse der anderen Welt?«, wiederholte Nicole.
    »Sie nennen es Hellsehen, Hypnose, Telekinese…«
    »Sie können das wirklich?«, brach es aus Nicole hervor. »Zum Teufel, warum setzen Sie Ihre Fähigkeiten dann nicht ein? Bringen Sie uns raus aus diesem Loch hier.«
    Ein resigniertes Lächeln umspielte die Lippen des jungen Mannes, der in Wirklichkeit schon uralt sein musste. Er machte eine weitausholende Handbewegung und wies auf die Felsenwände.
    »Sehen Sie die Mandalas, die magischen Zeichen? Spüren Sie die Aura der Dämonen? Sie hindern mich an der Entfaltung meiner Fähigkeiten. Und außerdem…«
    »Ja?«
    »Ich bin noch nicht im Vollbesitz meiner Kräfte. Es bedarf eines Auslösers. Mein Erinnerungsvermögen ist durch den Anblick der Gebetsmühle in Richmond völlig geweckt worden. Meine. Kenntnisse der anderen Welt schlummern jedoch noch weitgehend. Es bedarf eines Anstoßes, um sie wieder voll zu beherrschen. Und diesen Anstoß kann ich nur im Schlangenkloster bekommen. Das Kloster aber liegt so fern für mich, obgleich es so nah ist.«
    Das gab Nicole Gelegenheit, endlich zu fragen, wo sie sich eigentlich befanden. Und warum!
    Sie erfuhr, dass sie sich in Tibet befanden, im Hauptkloster des sogenannten Bon-po, einer blutgierigen Dämonensekte, die die Mönche, zu denen Birch als Tschöd-po-Lama gehörte, auf das erbittertste bekämpften. Ihn hatte der Bon-po in seine Gewalt gebracht, um ihn daran zu hindern, auf Seiten der Lamas in den Kampf einzugreifen. Ihm kam in diesem Kampf eine besondere Bedeutung zu, denn er war der einzige, der sich den mächtigen Gott Yama untertan machen konnte, wenn er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war.
    »Und ich?«, fragte Nicole. »Warum bin ich hier?«
    Er antwortete nicht, blickte sie nur an. Unbehaglich, wie ihr schien.
    Nicole wiederholte ihre Frage.
    Zögernd sagte er: »Sie sollten es vielleicht nicht wissen, Miss Duval.«
    Diese vieldeutige Antwort ließ böse, wenn auch noch sehr unbestimmte Ahnungen in Nicole aufsteigen. Aber sie wollte Bescheid wissen.
    »Sagen Sie es mir!«, verlangte sie energisch.
    Er nickte. »Der Bon-po hält Sie für einen Menschen, mit dem ich in Liebe verbunden bin. Das Missverständnis ist aufgekommen, weil die Abgesandten der Dämonenpriester uns in New York zusammen gesehen haben.«
    »Und?«
    Wieder zögerte Birch.
    »Also?«, drängte Nicole.
    »Der Bon-po will noch etwas von mir«, sagte er schleppend. »Die Dämonenpriester wollen mich dazu zwingen, auf ihrer Seite gegen meine Glaubensbrüder zu kämpfen. Wenn ich es nicht tue…«
    Nicole schluckte. Sie ahnte, was jetzt kam.
    »Wenn Sie es nicht tun?«, wiederholte sie mit leicht heiserer Stimme.
    »Wird man Sie vor meinen Augen zu Tode foltern«, sagte der Tschöd-po-Lama schwer.
    Nicole wurde blass. Sie merkte, dass sie zu zittern begann. Mühsam rang sie um ihre Beherrschung.
    »Und was werden Sie tun?«, fragte sie gepresst.
    Der Tschöd-po-Lama schlug die Augen nieder, wollte sie offenbar nicht ansehen, »Es tut mir leid, Miss Duval«, erwiderte er leise.
    ***
    Der Stellvertreter des Großabtes empfing Professor Zamorra und Bill Fleming in seiner spartanisch eingerichteten Meditationszelle. Auch Blo war dabei - als Dolmetscher, Zamorras tibetische Sprachkenntnisse reichten doch nicht aus, eine ausführliche Unterredung zu führen.
    Der hohe lamaistische Würdenträger - er hatte die elfte Tschödprüfung erfolgreich bestanden - war ein alter Mann, dessen Gesicht von der Weisheit eines langen Lebens geprägt wurde. In seinen dunklen Augen las Zamorra Güte, aber auch kompromisslose Härte.
    Nach einer kühlen, aber nicht unfreundlichen Begrüßung forderte der Geshe sie auf, Platz zu nehmen, auf einer harten, nicht einmal zwanzig Zentimeter hohen Holzbank. Er selbst ließ sich ebenfalls auf einem solch unbequemen Sitz nieder, während der Getsul, der Jungmönch Blo, ehrerbietig stehen blieb.
    Dann begann der Dialog zwischen, dem hohen Lama und dem Professor, flüssig übersetzt von Blo.
    »Ihr habt eine weite Reise gemacht, Fremde aus einem fremden Land«, eröffnete der Geshe das Gespräch. »Leider eine
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