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0078 - Im Geisterreich der Wikinger

0078 - Im Geisterreich der Wikinger

Titel: 0078 - Im Geisterreich der Wikinger
Autoren: Hans Wolf Sommer
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oder Möwen, die in dieser so seltsam veränderten Welt zu Hause waren? Sie wußte es nicht, und es spielte im Grunde genommen auch keine Rolle.
    Sie ging weiter, wanderte ohne eigentliches Ziel am Meeresufer entlang, so nah, daß die leichte Brandung ihre Füße umspielte. Nicole achtete gar nicht darauf. Ihr Blick glitt über die unruhig gewordene See hinweg, über die Gischtkronen, über die Wellenberge und Täler, die graublau im Licht der Sonne zu tanzen schienen.
    War dies das Meer des Jahres 1976 oder gehörte es gleichfalls einer Welt an, die zeitlich und räumlich weit entfernt war von ihrem Heute?
    Dann stutzte Nicole plötzlich. Draußen auf dem welligen Teppich des Ozeans erfaßte ihr Blick etwas. Sie kniff ein Auge zu, um besser sehen zu können. Ja, es bestand kein Zweifel.
    Schiffe!
    Sie waren dem Ufer bereits näher als dem Horizont, konnten mit bloßem Auge recht deutlich ausgemacht werden, wenn sie auch noch reichlich verschwommen wirkten.
    Nicole war wie gebannt. Minutenlang stand sie beinahe reglos da, die Augen unverwandt auf die überraschend aufgetauchte Erscheinung gerichtet.
    Schiffe, Menschen…
    Sie kamen näher und näher, offenbar von einem günstigen Wind getrieben.
    Vier Schiffe waren es, seltsame, ungewöhnliche Schiffe. Nicole konnte bereits Einzelheiten erkennen, die sich immer klarer ins Bild schoben.
    Lang, schmal und schnittig glitten sie durch die Fluten, mit hochgewölbtem schlankem Bug. Große, quergestellte Segel blähten sich im Wind. Schwarz waren sie, so schwarz wie die Rümpfe der Boote selbst. Aber nicht allein die Segel schienen für Fahrt zu sorgen. Nicole glaubte, Ruderer erkennen zu können, die lange Riemen seitlich ins Wasser tauchten und den Booten zusätzliche Geschwindigkeit verliehen.
    Nicole war ein intelligentes, gebildetes Mädchen. Sie kannte derartige Schiffe, hatte sie des öfteren auf Bildern und einmal schon in einem Museum gesehen. Im Jahr 1976 gab es sie nicht mehr, denn sie gehörten bereits seit langem der Geschichte an.
    Wikingerboote!
    Mein Gott, dachte sie, wo kommen diese Boote her? Schiffe, die im neunten, zehnten Jahrhundert wie Drachen über die Meere Europas gesegelt waren? Schiffe, die die Küsten mit Blut und Terror überzogen und die Bewohner aller Länder in Angst und Schrecken versetzt hatten?
    Die Schreiber von Legenden und romantischen historischen Romanen hatten die Wikinger zu germanischen Recken gemacht, zu Helden, die Tod und Teufel nicht fürchteten. Ritterlichkeit, Edelmut, Tapferkeit – das waren die hehren Tugenden, die man ihnen mit verklärtem Blick angedichtet hatte.
    Die offizielle Geschichtsschreibung jedoch wußte es anders.
    Damals hatte man die Wikinger die Schlächter aus dem Norden genannt.
    Mit banger Erwartung blickte Nicole den schnell heranfliegenden Booten entgegen. Schon konnte sie die drachengeschmückten Vordersteven erkennen. Und sie sah die bärtigen Männer, die an den Rudern saßen.
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte so schnell sie konnte zum Hotel zurück.
    ***
    »Köpfe runter!« brüllte Professor Zamorra.
    Er ließ seinem Kommando im gleichen Sekundenbruchteil die eigene Tat folgen. Blitzartig nahm er den Kopf zwischen die Schultern und warf sich mit einem wahren Tigersatz nach vorne.
    Keinen Herzschlag zu früh. Während sein Körper in den Morast der Wiese klatschte, vernahm er ein teuflisches Surren. Ein Hagel von Pfeilen und Speeren jagte wie ein mörderisches Ungewitter über ihn hinweg.
    Nicht alle seine Begleiter waren so reaktionsschnell gewesen wie er. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich mehrere dünnstielige Schäfte in die Brust Rupert Marres bohrten. Er hörte den erstickten gurgelnden Schrei des jungen Fischers. Es war sein letzter Schrei, der Schrei des Todes.
    Während Roger Legrand und Jean Marre zeitig genug unten waren, hatten auch Col und der schwergewichtige Viehhändler gezögert.
    Lejeune schien einen besonders aufmerksamen Schutzengel zu besitzen. Er hatte mehr Glück als Verstand. Die Geschosse waren an ihm vorbeigezischt wie die Dolche an der Assistentin eines Messerwerfers im Zirkus. Mit einem wilden Angstschrei warf er sich jetzt ebenfalls zu Boden.
    Col hatte es voll erwischt. Ein Pfeil war in seinen Bauch gedrungen. Das eingekerbte Ende zitterte hin und her wie eine Feder im Wind. Länger als eine Sekunde stand der elegant gekleidete Mann, dessen Maßanzug auch jetzt noch beinahe makellos aussah, unbeweglich. Dann griff er mit einer fast lässigen Bewegung
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