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0078 - Im Geisterreich der Wikinger

0078 - Im Geisterreich der Wikinger

Titel: 0078 - Im Geisterreich der Wikinger
Autoren: Hans Wolf Sommer
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könnte, zu regnen, aber allzu lange würde es bestimmt nicht mehr dauern. Auch der Wind von der See her war kräftiger geworden.
    Die Männer kletterten aus dem Wagen. Zamorra tat dies schnell, aber behutsam.
    Behutsam war nicht Lejeunes starke Seite. Er machte es wie der Elefant im Porzellanladen und sprang einfach nach unten. Die Quittung bekam er sofort. Bis zu den Knien sank er in den morastigen Boden ein.
    »Hilfe, ich versinke!« brüllte er angsterfüllt.
    Seine Behauptung war jedoch, wahrscheinlich sehr zum Leidwesen mehrerer der anderen Männer, stark übertrieben. Er versank nicht tiefer, was er auch selbst sehr schnell merkte. Die Angst wich wieder aus seinem Gesicht, machte grollendem Ärger Platz. Er fing an, laut und lästerlich zu fluchen. Ein Glück, daß der Dorfgeistliche nicht dabei war. Matteaux wäre wahrscheinlich wirklich im Boden versunken – vor Scham.
    Auch der Professor und die anderen vier betraten jetzt den schwankenden Untergrund. Sie konnten nicht vermeiden, ebenfalls einzusinken. Aber da sie sich bemühten, ihr Körpergewicht möglichst gleichmäßig zu verlagern, ging ihnen der Schlamm nur bis zur Mitte des Schienbeins.
    Vorsichtig marschierten sie los, dem Waldstück entgegen. Es gluckste und schmatzte unter ihnen, als sie ihre Füße in den Morast eintauchten und wieder herauszogen. Mühsam kämpften sie sich vorwärts, jederzeit darauf gefaßt, an eine Stelle zu kommen, die sich als bodenlos erweisen würde. Mit dem Vorhandensein von solchen Löchern mußte man selbst hier im Vorterrain eines Moors ständig rechnen.
    Auf das, was dann aber wirklich geschah, waren sie in keiner Weise gefaßt.
    Sie hatten sich der Baumgruppe bis auf etwa fünfzig Meter genähert, als es passierte.
    Ganz plötzlich erfüllte lautes, durchdringendes Geschrei die Luft.
    Wie aus dem Boden gewachsen tauchten unter den Bäumen Gestalten auf. Zehn, zwölf, fünfzehn, vielleicht sogar noch mehr.
    Zamorra und seine Begleiter kamen überhaupt nicht dazu, sich die Gestalten näher zu betrachten. Sie nahmen lediglich wahr, wie die Figuren dort drüben die Arme hochrissen.
    Dann näherte sich ihnen der Tod mit rasender Geschwindigkeit.
    ***
    Nach wie vor schlug die Aufregung hohe Wellen in St. Briand. Man spekulierte, stellte die tollsten Vermutungen an, verwarf sie wieder und kam anschließend mit noch verrückteren Gedankenspielereien.
    Die Meinung, daß wirklich übersinnliche Kräfte am Werk gewesen waren, setzte sich jedoch immer mehr durch. Nicht nur bei den Einheimischen. Auch bei den Touristen, die schnell gemerkt hatten, daß sie den rätselhaften Phänomenen nicht mit herkömmlichen Denkvorstellungen beikommen konnten. Zudem hatten die eindringlichen, überzeugenden Worte Professor Zamorras viel dazu beigetragen, auch die hartnäckigsten Zweifler schwankend werden zu lassen.
    Naturgemäß stand Nicole Duval ziemlich im Mittelpunkt der heftig geführten Diskussionen. Mittlerweile wußte auch der letzte gerade schulpflichtig gewordene Fischerknabe, daß sie zu dem Professor gehörte, der die Welt des Jenseitigen aufs Tapet gebracht hatte. Man bestürmte Nicole mit Fragen, wollte Näheres über Zamorra wissen, über seine Person, seine Arbeit, seine Ansichten.
    Sie versuchte, sich dem Kreuzverhör zu entziehen, indem sie ins Hotel zurückkehrte. Aber auch hier hatte die Fragerei kein Ende. Ja, man verlangte sogar von ihr, daß sie an Zamorras Stelle glasklare Erklärungen gab und Lösungen anbot.
    Nicole reichte es nun. Schließlich war sie keine Parapsychologin, sondern lediglich die Freundin und Sekretärin eines solchen. Selbst der Professor hatte noch völlig im Dunkeln getappt und war nur auf Vermutungen angewiesen gewesen. Wie sollte sie da in der Lage sein, der Weisheit letzten Schluß zu verkünden? Man verlangte Unmögliches von ihr.
    Sie wollte ihre Ruhe haben, wollte endlich Zeit finden, selbst nachzudenken. Hier im Belle-Ile würde ihr das kaum gelingen.
    Dieser Überlegung folgend, verließ sie das Hotel wieder. Sie benutzte nicht den offiziellen Eingang zur Straße hin, wo die Leute gestikulierend, lamentierend und argumentierend herumstanden, sondern schlüpfte unauffällig durch den Hinterausgang, der unmittelbar zum Strand führte.
    Durch den Steingarten hinter dem Hotel ging sie bis zum Meeresufer. Hier war sie endlich allein. Allein mit dem Geröll und dem groben Sand des Strandes, allein mit den Möwen, die kreischend über die schaukelnden Wellen flogen.
    Möwen aus dem Jahr 1976
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